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Das Osterfest ist nicht nur das älteste Fest der Christenheit, es gilt als „Fest der Feste“. Es geht zurück auf den von den Evangelisten berichteten „ersten Tag“ der Woche, an dem die Jünger das leere Grab gesehen und die Erscheinungen des Auferstandenen erlebt haben. So wurde dieser Tag neben dem jüdischen Sabbat (als dem siebten Tag der Schöpfung) zum wöchentlich wiederkehrenden Feiertag der Christen. Seit apostolischer Zeit gilt der Tag der Auferstehung als der „Urfeiertag der Kirche“, „Sonntag“ genannt, weil „Christus als die Sonne des Heils“ angebetet, angerufen und gepriesen wurde. Eine andere Bezeichnung ist „Tag des Herrn“, an dem das „Herrenmahl“, die sogenannte „Eucharistie“ (Danksagung für Jesu Tod und Auferstehung), gefeiert wurde.
Das Datum des Osterfestes hängt mit dem jüdischen Zeit- und Festtagskalender zusammen. Dort begannen die Monate jeweils mit dem Tag des Neumondes. Nach dem Frühjahrsvollmond wurde das jüdische Pessachfest (auch: Passah, Pesach) gefeiert. Weil die Kreuzigung Jesu unmittelbar vor dem Pessachfest erfolgte und seine Auferstehung sich am ersten Tag der Woche nach dem Pessachfest ereignete, beschloss das Konzil von Nizäa (325 n. Chr.), das Osterfest alljährlich am Sonntag nach dem ersten Frühjahrsvollmond zu feiern. Damit wurde ein sich längere Zeit hinziehender Osterfeststreit beendet.
Was man durch viele Jahrhunderte als Fastenzeit bezeichnete, wird seit der vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) in die Wege geleiteten Liturgiereform nunmehr „österliche Bußzeit“ genannt. Maßgebend für diese neue Sicht war die Auffassung, dass damit der Sinn der österlichen Vorbereitung umfassender und positiver zum Tragen kommt. Die Fastenzeit hat sich aus einem ursprünglich zweitägigen Trauerfasten unmittelbar vor Ostern entwickelt. Seit dem Konzil von Nizäa (325 n. Chr.) wird von einer 40-tägigen Fastenzeit (Quadragesima) gesprochen. Vorbild waren die 40 Tage Jesu in der Wüste, wo er fastete und dann vom Teufel in Versuchung geführt wurde. Auch andere biblische Vorbilder wurden immer wieder genannt, wie z. B. der 40 Jahre währende Weg der Entbehrungen des auserwählten Volkes Gottes durch die Wüste bis hin ins Gelobte Land. Die Fastenzeit hat einen doppelten Sinn: Sie soll die Getauften zur Tauferneuerung hinführen und die Taufschüler (Katechumenen) zum Empfang der christlichen Initiationssakramente (Taufe, Firmung, Eucharistie) in der Osternacht. Mit dem Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit: Die Asche ist Symbol der Vergänglichkeit des Menschen und soll zur Besinnung rufen, dass Gott allein aus Sünde und Tod zu retten vermag. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten war die öffentliche Buße ein wichtiges Element der Fastenzeit. Mehr und mehr wurde die Feier der Buße in die Abgeschiedenheit des Beichtstuhles verdrängt. Da im Mittelalter der Kommunionempfang sehr stark zurückgegangen ist, verlangte die kirchliche Autorität, dass jeder Katholik verpflichtet ist, wenigstens einmal im Jahr, und zwar zur österlichen Zeit, die heilige Kommunion zu empfangen. Diese sogenannte Osterpflicht besteht auch heute noch und schließt den Empfang des Bußsakramentes mit ein (Osterbeichte). Aus den früheren Beichtzetteln (als Kontrolldokumente) wurden die heute an vielen Orten noch üblichen Osterbeichtbildchen zur frommen Erinnerung an die abgelegte Osterbeichte.
Die Kreuzwegandacht ist eine im Mittelalter entstandene Form der Volksfrömmigkeit. Aus dem Nachgehen des Leidensweges Jesu vom Haus des Pontius Pilatus bis hinauf nach Golgota brachten Heilig-Land-Pilger und Kreuzfahrer die Idee mit, auch daheim die Betrachtung der Passion Jesu auf ähnliche Weise durch Kreuzwege und Kreuzwegbilder einzuführen und zu fördern. Dem Orden der Franziskaner kam in der Verbreitung der Kreuzwegfrömmigkeit dabei eine vorrangige Bedeutung zu. Heute wird die Kreuzwegandacht in vielen Gemeinden vor allem durch Initiativgruppen und Jugendkreise aktualisiert auf die Nöte und das Leiden der Menschen in der Welt. Die Karwoche, auch „heilige Woche“ genannt, hat ihren Namen vom althochdeutschen Wort „kara“, was soviel wie Trauer und Klage bedeutet. Damit wird aber nur die eine Seite des Ostermysteriums Jesu angesprochen: die Passion Jesu. Die andere Seite ist die Hinführung zum Mysterium der Auferstehung. Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag und Osternacht gelten als die heiligen drei Tage, an denen außer der amtlichen Liturgie der Kirche keine anderen Gottesdienste gefeiert werden dürfen. Der Palmsonntag eröffnet die Karwoche. In Erinnerung an den feierlichen Einzug Jesu in Jerusalem werden in der Volksfrömmigkeit zahlreiche Bräuche nach wie vor geschätzt und als Ausdruck christlicher Freude gewertet: Die Feier der Palmweihe im Freien und die Palmprozessionen (mancherorts mit Palmesel) sind in den Gemeinden für Eltern und Kinder ein großes Fest.
Das ursprünglich sehr strenge Fasten ist in der Gegenwart nur noch auf den Aschermittwoch und den Karfreitag beschränkt, und zwar in doppelter Weise: Enthaltung von Fleischspeisen und nur einmalige Sättigung am Tage (Abbruchfasten). Das „Fleischfasten“ wurde von den Bischofskonferenzen in der nachkonziliaren Zeit in ein Fasten der persönlichen Entscheidung des Einzelnen umgewandelt. In der alten Präfation zur Fastenzeit wird der religiöse Sinn und Zweck sehr klar angesprochen: „Durch das Fasten des Leibes hältst du die Sünde nieder, erhebst du den Geist, spendest du Kraft und Sieg durch unseren Herrn Jesus Christus.“
Bei der österlichen Speisensegnung, kurz nur „Speisenweihe“ genannt, geht diese liturgische Handlung auf die alte strenge Fastenpraxis zurück. Ostern soll über das österliche Mahl bei der Kommunion wieder zum festlich gedeckten Tisch in der Familie und im eigenen Hause führen. Von der österlich geprägten Gottesdienstgemeinde soll der Glanz der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen auch die zwischenmenschlichen Beziehungen neu stärken und prägen. Dies soll im Mahl mit gesegneten Speisen zum Ausdruck kommen. Die „Speisenweihe“ soll von der Liturgie zum Leben daheim hinführen. Das Ei ist dabei Symbol für das „neue Leben“, das mit Christus und seiner Auferstehung gekommen ist.
Seit dem Mittelalter, gefördert durch die Bettelorden (Franziskaner und Dominikaner), wurde das Spiel vom Leiden und Sterben Jesu in vielen Kloster- und Pfarrkirchen eingeführt. Man wollte damit eine stärkere Betroffenheit der Gläubigen erreichen. In der Barockzeit wurde in den Kirchen ein Leidens-Christus aufgestellt. Durch Gelöbnisse in Zeiten schwerer Bedrängnisse (Kriege, Naturkatastrophen, Seuchen) kam es mancherorts zur Einführung großer Passionsspiele (z. B. Thiersee/Tirol, Erl/Tirol, Mettmach/OÖ, St. Margarethen/Burgenland, Oberammergau/Bayern). Die Zeit der Aufklärung machte viele Einschränkungen, weil an manchen Orten Übertreibungen die eigentliche Botschaft des Evangeliums vom Leiden Jesu verdrängten.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, vor allem nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965), entstanden durch Privatinitiativen volkskultureller Gruppen sogenannte Passionssingen, wie z. B. das Gnigler Passionssingen (Gnigl und St. Leonhard); sehr bekannt wurden die Loferer Passion und die Großgmainer Passion. In jüngster Zeit hat das Salzburger Passionssingen viele Besucher/innen angezogen und zur Besinnung auf das Erlöserleiden und Sterben Jesu geführt. Dass auch die Schuljugend für die Darstellung des Leidens Jesu sehr angesprochen werden kann, zeigten eindrucksvoll die Schüler und Schülerinnen der Hauptschule Adnet in der Woche vor dem Palmsonntag 2003.
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Die ersten Ansätze zur Entstehung einer Osterfeier datieren aus der Mitte des 2. Jahrhunderts in Anlehnung an das jüdische Pessachfest (auch: Passah, Pesach). Seit dem 4. Jahrhundert wurden Leiden, Sterben, Tod und Auferstehung Jesu an bestimmten Festtagen gefeiert. Es entstand somit die Karwoche, beginnend mit dem Palmsonntag über den Gründonnerstag und den Karfreitag bis zum Ostersonntag. Ostern ist das älteste und größte Fest der Christenheit. Der Glaube an das Erlösungswerk durch Tod und Auferstehung Jesu Christi verbindet, trotz mancher Unterschiede, alle christlichen Konfessionen.
Die Reformatoren lehnten die Entwicklung von Bräuchen ab und besannen sich auf die biblischen Grundlagen der liturgischen Gestaltung des Osterfestes. Die Tradition der Karwoche wurde beibehalten, wobei der Karfreitag im evangelischen Raum eine Sonderstellung einnimmt. Besonderen Beitrag zu Ostern leistete der Protestantismus mit einem umfangreichen Liedgut. „O Haupt voll Blut und Wunden“ (EG 85) von Paul Gerhardt (1607–1676) und Johann Crüger (1598–1662) verdeutlicht wie kein anderes Lied das Leiden und Sterben Jesu.
Auch heute noch wird das Osterfest auf schlichte und besinnliche Weise gefeiert. Bräuche wie die Fastensuppe, das Ostergebäck, die Palmkätzchenzweige, Ostereier und -hasen und das Feiern der Osternacht werden jedoch gerne integriert.
Im evangelischen Gottesdienst steht die Predigt im Mittelpunkt. Die meisten Gemeinden feiern das Abendmahl einmal im Monat und an Festtagen. Die Gottesdienste haben keine Rangordnung, mit Ausnahme des Karfreitages, der als höchster Feiertag gilt. Das Abendmahl, stets mit Brot und Wein, ist zwar der Höhepunkt der Liturgie, verleiht aber jenem Gottesdienst keine Sonderstellung.[23] Es wird dringlich zum Gottesdienst eingeladen, jedoch gibt es keine Sonntagspflicht im katholischen Sinn.[24]
Auch die Bedeutung der Liturgie ist eine andere. Im evangelischen Gottesdienst ist sie nicht von sich aus ein heiliges Geschehen, sondern einfach nur die kirchliche Ordnung eines Gottesdienstes. Bei den Katholischen ist der Höhepunkt der Liturgie die Wandlung der Elemente in Leib und Blut Christi. Nicht sakramentale Feiern, wie Wort- und Gebetsgottesdienste, gelten nicht als „heilige Liturgie“.[25]
Im Allgemeinen wirkt ein evangelischer Gottesdienst für katholische Christen sehr nüchtern. Es gibt keine großen Zeremonien, kein Weihwasser, keine Heiligen- und Marienanbetung. Im Zentrum steht allein das Wort Gottes, das Gebet, die Familie und die Musik (nach Mt 15,9).[26]
Der erste Adventsonntag und der Sonntag vor Ostern haben als Schriftlesung dasselbe Evangelium (Mt 21,1–9), die Geschichte vom Einzug Jesu in Jerusalem. Die Bedeutung des Palmsonntages liegt in der Vergegenwärtigung, dass Krippe und Kreuz zusammengehören. Das irdische Leben Jesu, das im Stall begann, endet am Kreuz.
Seit dem 4. Jahrhundert ist es üblich, den Palmsonntag mit einer großen Prozession und mit Palmzweigen zu feiern. Nach der Reformation fanden diese in den evangelischen Gebieten ein Ende. Das Weihen der Palmbuschen, die dadurch zu sogenannten „Sakramentalien“ (= Vermittler göttlichen Segens) werden, so wie der Glaube an deren dadurch erlangte heilende Wirkung wurde und wird auch heute noch als Aberglaube von den evangelischen Christen abgelehnt.
Palmzweige dienen zur Osterzeit als Schmuck so wie Tannenzweige zu Weihnachten. Manchmal findet man in den evangelischen Kirchen zwischen den Zweigen einen Brotlaib in Form eines Schwanes. Das geschieht in Gedenken an Martin Luther (1483–1546) und seine Definition der „echten Kirche“: „Die Kirche gleicht einem Schwan, dass sie wie er breitfüßig ist, das heißt, auf einer festen und starken Grundlage ruht, die nicht einmal von den Pforten der Hölle zerstört werden kann.“[27]
Der Gründonnerstag, ein Tag festlicher Freude, beendet die 40-tägige Fastenzeit und bekommt durch das Gedächtnis der Fußwaschung, des letzten Abendmahles und des Verrates durch Petrus (Mk 14,26–42/66–77) seinen besonderen Inhalt. Die drei österlichen Tage beginnen mit einem Abendgottesdienst. Der Altar wird weiß gedeckt, Kerzen brennen, die Orgel ertönt und die Gemeinde singt „Ehre sei Gott in der Höhe“.[28] Danach verstummen die Glocken, die Gemeinde glaubt jedoch nicht daran, dass diese nach Rom fliegen würden.[29]
Die Tradition, am Gründonnerstag etwas Grünes zu essen, beruht auf Exodus (Ex) 12,8 und Numeri (Num) 9,11, worin zu lesen ist, dass der Herr beim „Passah halten“ grüne und bittere Kräuter verzehrt habe. In Gedenken daran isst man heute in manchen Familien die Neun- oder Siebenkräutersuppe.
Nach dem Vorbild der Fußwaschung Jesu (Joh 13,1–15) – die als Sklavendienst, aber auch als Liebesbeweis galt – ist der Gründonnerstag auch heute der Tag praktischer Liebesdienste, an dem der Armen gedacht und geholfen werden soll.[30]
Der Karfreitag hat im evangelischen Kirchenleben einen besonderen Rang. Es ist der höchste Feiertag des Kirchenjahres und gilt als wichtigster Abendmahlstag.[31] In den meisten Gemeinden finden an diesem Tag insgesamt vier Gottesdienste statt. Das Symbol des Karfreitages ist das Kreuz.
An diesem Tag überwiegt der Ernst, jedoch nicht ohne Hoffnung und Freude. Das Geschehen des Karfreitages gilt als Sinnbild für die Verbindung des irdischen mit dem ewigen Leben und berührt damit die gesamte Schöpfung. Jesus hat die gesamte Schuld der Welt auf sich genommen, für jeden einzelnen Menschen gelitten und ihn erlöst. Aus diesem Grund wird der Karfreitag besonders hervorgehoben.
In Gedenken an das Kreuz und an Christus als Brot des Lebens wurde das „Kreuzbrot“ als Backwerk eingeführt. Auch die Osternacht wird seit einigen Jahrzehnten wieder gefeiert. Die ursprünglich bis zu 24 Stunden dauernde katholische Festmesse – bestehend aus Lichtfeier, Wortgottesdienst, Tauffeier, Eucharistiefeier und Feuerweihe – wurde in gekürzter und schlichterer Form übernommen.[32] Wichtiger Bestandteil dieser Feier ist die Osterkerze, als Symbol des göttlichen Lichtes, das über die Finsternis siegt.
Ostern ist der Tag des Herrn – der Tag, an dem alle Naturgesetze durchbrochen werden. Der Festgottesdienst beginnt mit dem Eingangspsalm „Der Herr ist auferstanden, Halleluja! Er ist wahrhaftig auferstanden, Halleluja! Man singt mit Freuden vom Sieg!“ Die liturgische Farbe an diesem Festtag ist Weiß, als Symbol des Lichtes. In den meisten Gemeinden singt man das traditionelle Osterlied „Christ lag in Todesbanden“ (EG 101) von Martin Luther.[33]
Bis in unser Jahrhundert war es üblich, an diesem Tag fladenförmiges Backwerk zu verzehren. Die sogenannten „Osterfladen“ gehen zurück auf den jüdischen „Mazzen“, der beim Pessachmahl verzehrt wurde (1 Kor 5,6–8). Auch in sehr traditionellen evangelischen Familien findet man heute an deren Stelle immer mehr Kuchen- und Schokoladenosterhasen.[34]
Der Ostermontag wird als Tag der Familie begangen. Nach dem morgendlichen Gottesdienst sind Ausflüge, Besuche und der sogenannte „Emmausgang“ üblich. Mit diesem Festwochenende beginnt die 50-tägige Osterzeit bis Pfingsten.
Die lutherische Kirche übernahm alle Traditionen des katholischen Gottesdienstes, die dem evangelischen Glauben nicht widersprachen. Es wurde die vorreformatorische Form des einfachen Predigtgottesdienstes aufgenommen. So entstand ein sehr schlichter Ablauf des Gottesdienstes mit kurzer Liturgie.[35]
Nach einem Orgelvorspiel beginnt die Gemeinde mit dem Eingangslied, ausgewählt aus 23 Passions- und 24 Osterliedern des Evangelischen Gesangbuches. Darauf folgen Eingangsworte und Eingangspsalm, Sündenbekenntnis, Gnadenwort und Kyrie. Dann kommen Gloria, Kollektengebet und Schriftlesung. Üblicherweise singt die Gemeinde anschließend das „Halleluja“, welches in der Karwoche weggelassen und erst am Ostersonntag wieder integriert wird. Es folgt das Glaubensbekenntnis, wobei in der Regel das Apostolische und an Festtagen meist das Nizäische Bekenntnis gebetet wird.
Nach einem Lied kommen der Kanzelgruß, die Verlesung des Predigttextes und die Predigt. Der Schlussteil enthält Ankündigungen, Friedensgruß, ein Lied, Fürbittengebet und das Vaterunser, das von allen Gemeindemitgliedern bis zum Amen gebetet wird. Nach dem Segen, dem Schlussgebet und einem Orgelzwischenspiel wird oft erst das Abendmahl gefeiert. An besonderen Festtagen, wie dem Karfreitag, wird es vor dem Vaterunser integriert.[36]
Der evangelische Gottesdienst gibt rund 150 Liedern des evangelischen Gesangsbuches Raum. Davon bezieht sich ungefähr ein Drittel auf die Passion und das Ostergeschehen. Chorgesang und andere Kirchenmusik erweckt festliche Freude und hat im evangelischen Gottesdienst einen besonders wichtigen Stellenwert.[37] Die Reformation löste eine impulsive Singbewegung aus. Durch den konsequent genutzten Buchdruck bekam das Liedgut rasch eine Breitenwirkung.
Zu den bekanntesten Komponisten und oftmals auch gleichzeitig Textdichtern der Passions- und Osterlieder gehören Matthäus Greiter (auch: Matthias Greitter, um 1495–1550), Martin Luther (1483–1546) und Melchior Vulpius (um 1570–1615). Als besonders wichtiger Textdichter ist Paul Gerhardt (1607–1676) hervorzuheben.
Zu den ältesten überlieferten Passionsliedern gehören „Ehre sei dir, Christe“ von 1527 (EG 75), „Christus, der uns selig macht“ von 1501 (EG 77) und „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ von 1525 (EG 76). Besonders alte Osterlieder sind „Christ ist erstanden“ von 1529 (EG 99) und das bekannte Lutherlied „Jesus Christus, unser Heiland, der den Tod überwand“ von 1545 (EG 102).[38]
Im Zuge der Reformation wurden Sitten und Bräuche für sämtliche christlichen Feste abgelehnt. Diese galten nur als leere Hülle, wenn der wesentliche Grund des Festes vergessen wurde. Doch im Gedenken an Jesu Leben, der sein Wort mit sichtbaren Zeichen verbunden hat, wurden Bräuche mit sinnvoller Bedeutung in die Festgestaltung wieder aufgenommen.[39]
Das Osterei wird als Sinnbild für die Schöpfung und neues Leben gesehen. Oftmals wurden die Bestandteile des Eies mit dem Alten Testament (= Eierschale, hart und undurchdringbar) und dem Neuen Testament (= Eigelb, Neues kann entstehen) verglichen. Das Verstecken der Eier wird auch als „das Spiel des Osterwunders“ bezeichnet. Man sucht in der aufblühenden Natur etwas ganz unnatürlich Schönes. Für den Osterhasen gibt es verschiedenste Deutungen. Seinen großen Stellenwert im heutigen Osterfest kann man z. B. in den Sprüchen 30, Vers 26 finden: „Hasen – ein schwaches Volk, dennoch legt es sein Haus in den Felsen“. Der Hase wird darin als Sünder gesehen und der Felsen ist Gottes Schutz und Nähe. Eine weitere Erklärung findet sich im weißen Winterkleid des Hasen. Er bekommt ein anderes Kleid, wie auch der Mensch bei der Taufe ganz neu wird.
Ein weiterer Brauch ist die Osterkerze, die seit dem 4. Jahrhundert in die Liturgie eingebunden wird und als Zeichen für das göttliche Licht in der Finsternis zu sehen ist.[40]
Trotz schlichter Liturgie und kurzer Dauer von einer Stunde ist die Osternacht in der Evangelischen Christuskirche Salzburg ein außerordentlich festlicher und stimmungsvoller Gottesdienst.
Mit einem Orgelvorspiel von Kantor Markus Bunge beginnt der Gottesdienst um 23 Uhr. Nach dem Einzug in die verdunkelte Kirche folgen die Eingangsworte und die erste Lesung (Gen, Schöpfung). In regelmäßigen Abständen wird der Gottesdienst durch Gebet, Gemeindegesang und musikalisch solistische Lobpreisungen bereichert.
Langsam wird die Osterkerze, als einer der Höhepunkte des Gottesdienstes, entzündet. Jedes Gemeindemitglied hat eine kleine Kerze in der Hand. Nach und nach wird der gesamte Kirchenraum durch das Kerzenlicht erhellt. Mit der Lesung des Osterevangeliums (Lk 24,1–12) und dem Singen des „Halleluja“ wird für jeden Gläubigen die Osterfreude spürbar. Nach der Predigt von Pfarrer Franz Zippenfenig werden erneut Lieder gesungen. Es folgen Beichte, Lossprechung und das gemeinsame Abendmahl, bei dem sich alle die Hände reichen. Beendet wird mit dem Schlussgebet, dem Vaterunser und dem Ostersegen. Von einem freudigen Orgelnachspiel wird die Gemeinde in den neuen Tag begleitet.
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Das Pessachfest (auch Passah, Pesach) feiern Juden zum Gedenken an den Auszug aus Ägypten und die Befreiung aus der Sklaverei. Es wird auch Frühlingsfest, Fest der Freiheit oder Fest der ungesäuerten Brote genannt und ist eines der drei Wallfahrtsfeste (neben Schawuot, dem Wochenfest, und Sukkot, dem Laubhüttenfest). Das Fest beginnt am 15. Nis(s)an,[42] am Tag des ersten Frühlingsvollmondes, und dauert in Israel sieben Tage und in der Diaspora (Bezeichnung für das Leben der Juden außerhalb Israels) acht Tage lang. Wie alle jüdischen Feiertage oder Sabbate beginnt der Feiertag am Vorabend mit Einbruch der Dunkelheit und ist an keinen bestimmten Tag der Woche gebunden.
Schon Tage vor den Feiertagen muss mit den Vorbereitungen begonnen werden. Die Wohnung wird von gesäuerten und vergorenen Lebensmitteln gereinigt. Lebensmittel wie Brösel, Mehl und solche, die Vergorenes enthalten, sind für Juden während der Feiertage nicht erlaubt. Diese vergorenen Lebensmittel werden mittels eines separaten „Kaufvertrages“ an einen Nichtjuden verkauft und nach den Feiertagen vom früheren Besitzer zurückgekauft. Auch das Geschirr muss gewechselt werden: Geschirr, welches das ganze Jahr hindurch verwendet wird, muss an einem separaten Platz gelagert werden, den man während der Pessachfeiertage nicht betritt.
Am Vorabend des Pessachfestes müssen alle Erstgeborenen fasten, dies gilt auch für die Personen, die der/die Erstgeborene ihrer Mutter, nicht jedoch ihres Vaters sind. Dies geschieht zum Gedenken an die letzte der zehn Plagen, die über die Ägypter kam, als der Todesengel im Auftrag Gottes alle Erstgeborenen von Mensch und Vieh tötete und nur an den gekennzeichneten Türen der Israeliten vorüberging.
Am Morgen des ersten Pessachtages darf Gesäuertes und Vergorenes nur bis 9 Uhr gegessen werden. In Familien mit Kindern werden Säckchen mit Chumez (auch Chametz, so werden die vergorenen Lebensmittel genannt) in der Wohnung versteckt und von den Kindern gesucht (vergleichbar mit dem Suchen und Auffinden von Ostereiern). Nach dem Auffinden werden die letzten Chumez-Brösel gesammelt und etwa um 10 Uhr verbrannt.
Die Zeit bis zum Abend dient den Vorbereitungen des Sederabends. Diese sind durch eine ganz bestimmte Ordnung gekennzeichnet. Unter Seder versteht man sowohl den häuslichen Dienst während der ersten beiden Pessachabende als auch die Schüssel, die in der Mitte des Tisches mit allen Beilagen steht. Das Fest feiert man meist mit Verwandten, Freunden und Gästen. Es beginnt, während die männlichen Mitglieder in der Synagoge sind und die Hausfrau die Kerzen für den Feiertag entzündet.
Der Sederabend besteht aus Geboten der Thora (die fünf Bücher Mosis) und aus unzähligen Bräuchen, die an besondere Ereignisse und Erlebnisse in der Vergangenheit erinnern sollen. Auf dem festlich gedeckten Tisch stehen Mazzot (ungesäuertes Brot), eine Schale mit Salzwasser und eine besondere Serviette für den Afikoman (so nennt man den größeren Teil einer gebrochenen Mazza, der für den Abschluss des Sedermahles aufbewahrt wird). Weiters sind ein Knochen, ein Ei, Bitterkraut, Charosset und eine Erdfrucht auf einem speziellen Sederteller. Jedes dieser Nahrungsmittel hat eine besondere Bedeutung.
Mazzot, das ungesäuerte Brot, ist beim Seder („Ordnung“, Zeremonie bei der Tafel am Pessachabend) weniger ein Nahrungsmittel als vielmehr ein Symbol, das zum Ritual gehört. Da der Auszug aus Ägypten sehr rasch geschehen musste, konnte der Teig nicht säuern.
Der Knochen, an dem sich kaum noch Fleisch befinden soll, liegt als Symbol auf dem Teller. Seit der Zerstörung des Tempels darf kein Opferdienst mehr gehalten werden, aus diesem Grund steht auch kein Pessachlamm auf dem Tisch.
Das Ei symbolisiert einerseits die Fruchtbarkeit, wird aber auch als Symbol der Trauer gesehen.
Das Essen des Bitterkrautes soll an die Bitterkeit während der Unterdrückung in Ägypten erinnern.
Charosset ist eine Mischung aus klein gehackten Nüssen, Äpfeln, Rosinen, etwas Zimt, Zucker und ein wenig Wein und soll durch ihre lehmartige Farbe an den Ton erinnern. Denn im 2. Buch Mose steht: „[...] die Ägypter zwangen die Kinder Israels unbarmherzig zum Dienst und machten ihnen das Leben sauer mit schwerer Arbeit in Ton und Ziegeln [...]“.
Als Erdfrucht werden Erdäpfel und/oder Radieschen gereicht.
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Das Wort Ramadan kommt aus dem Arabischen und leitet sich von der Wurzel „ramida“ oder „arramad“ her, die „brennende Hitze und Trockenheit“ bedeutet. Die Offenbarungen Gottes an Mohammed, die später im Koran zusammengefasst wurden, begannen gemäß der Überlieferung im Jahr 610 n. Chr. während des Monats Ramadan. Er ist der neunte Monat im islamischen Mondkalender. Das muslimische Jahr teilt sich in zwölf Mondmonate von 29 oder 30 Tagen. Die Umrechnung von den christlichen Daten in ein muslimisches Datum bedeutet auch den Umstieg in ein anderes Zeitrechnungssystem.
„Saum“, das Fasten, ist in der Vorstellung des Islam Gottesdienst. Wer fastet, dient Allah, dem einzigen Gott. Das Fasten ist eine Pflicht, die durch den Koran, durch Sunna und „Idschma“ (Konsens der Gelehrten) bezeugt ist. Es gehört neben „Schahāda“ (Glaubensbekenntnis), „Salat“ (Gebet), „Zakat“ (Almosen) und „Hadsch“ (Pilgerfahrt) zu den fünf Säulen des Islam.
Das Fasten im Ramadan hat eine äußere und eine innere Dimension. Die äußere Dimension bedeutet, dass sich eine Muslima bzw. ein Muslim vom Beginn der Morgendämmerung bis zum Sonnenuntergang von allem fernhält, was das Fasten aufhebt. Sie bzw. er nimmt keine Nahrung und keine Getränke zu sich, raucht nicht und enthält sich des Geschlechtsverkehres. Die innere Dimension des Fastens besagt, dass die „niyya“, die Absicht oder Gesinnung, für das Fasten unerlässlich ist.
Moscheen und islamische Gemeinschaften in Berlin, London oder Paris zeigen, dass der Islam als religiöse und kulturelle Kraft in Europa präsent ist. In Frankreich umfassen die Muslime einen Bevölkerungsanteil von ca. 5 % und sind nach den Katholiken – noch vor Protestanten und Juden – die größte Religionsgemeinschaft. Auch in Wien und allen größeren Städten Österreichs finden sich Moscheen und islamische Gemeinschaften. www.islam.at führt für Wien 50 Adressen von islamischen Gemeinschaften auf. Für Salzburg ist die Islamische Religionsgemeinde eingetragen. Für Muslime ist es besonders schwierig, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, weil der Islam als Religion nicht auf den privaten Rahmen beschränkt bleibt, sondern Alltag wie öffentliches Leben in allen individuellen und kollektiven Äußerungen prägt. Im Arbeitsleben verursachen die Gebetszeiten und der Ramadan den gläubigen Muslimen nicht selten Probleme. Das religiöse Leben der Gemeinden wird durch Behinderungen beim Erwerb von Immobilien für Gebetsräume und durch Nachbarschaftskonflikte erschwert.
In muslimischen Ländern wird das gesamte Leben durch den Rhythmus des Fastens[44] und des Fastenbrechens[45] geprägt. In Österreich ermöglichen es die Arbeitszeiten häufig nicht, das Fastenbrechen in der Familie oder in der Moschee zu begehen. Die drei Festtage am Ende des Ramadan wie auch das Opferfest sind in islamischen Ländern arbeitsfrei. In Österreich beschränken sich die traditionellen Besuche und Feiern während der drei Tage auf die Abendzeiten oder Wochenenden. In einer Diasporasituation verkündet kein Muezzin über Lautsprecher den Beginn der Fastenzeit; im Internet werden jedoch eigene Ramadan-Websites angeboten, die (unter Berücksichtigung der Zeitverschiebung) die weltweite Einhaltung der Termine ermöglichen.
Das islamische Fasten, jedes Jahr in den vom islamischen Mondkalender festgesetzten Wochen begangen, hinterlässt im Stadtbild von Salzburg keine sichtbaren Spuren. Es wird von den hier lebenden Muslimen im privaten Umfeld der eigenen Familie und des Freundeskreises sowie in der Moschee begangen. Allerdings zeigt gerade dieser Aspekt des Ramadan wesentliche Probleme der Inkulturation für Muslime auf, die auch immer wieder zu gesellschaftspolitischen und religionspolitischen Konflikten führen. Der Islam, eine wesentlich öffentliche und politisch dimensionierte Religion, ist in Europa mit der gesellschaftlichen Norm, Religion sei Privatsache, konfrontiert.
Der Autor hat im Sommer 2002 mit Frau Türkan Cagirankaya, einer Mitarbeiterin der interkulturellen Beratungsstelle für Mädchen, Frauen und Familien des Vereines „VIELE“, ein Gespräch geführt: „Der Ramadan wird in Salzburg wie überall in der Welt, wo Muslime leben, gefeiert. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird nicht gegessen und getrunken. Wichtig ist auch die innere Einstellung: Man darf nicht Schlechtes denken, keine Schimpfwörter aussprechen. Wohlhabende sollen den Ärmeren helfen. Im Alltag leben wir völlig normal weiter, aber wir bemühen uns in besonderem Maß um Menschlichkeit. [...] Während des Jahres betet man fünf Mal am Tag. Während des Ramadan beten wir zusätzlich das Nachtgebet des Fastenmonats, das ‚tarawi[h]‘, das nur in der Moschee gebetet wird, nicht zu Hause. In der Nacht stehen wir auf, bereiten wieder ein Essen zu, das ‚sahur‘, die Frühmahlzeit vor dem Fasten während des Tages. Das Gebet zum ‚sahur‘: ‚Mein Gott, ich liebe Dich, und ich faste für Dich.‘ Man bekräftigt die eigene Absicht, wieder zu fasten (‚niyet etmek‘). Danach darf man nicht mehr essen und trinken bis zum Sonnenuntergang.“
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Es gibt heute vielfältige Körperpraktiken – vom breitensportlichen Dauerlauf über das Bergsteigen bis hin zu anderen Formen des modernen Sports –, die mit Fragen nach mystischen und religiösen Dimensionen des Lebens verbunden sind. Die Gesellschaft klagt dabei ihre „Sinnkrise“ in Kategorien der Körpersprache ein.
Sind Natur, Gesundheit und Körper neue Mythen, die quasi eine Ersatzreligion darstellen? Fragmente einer tief im Menschen verwurzelten Frömmigkeit lassen offensichtlich eine Verzauberung entstehen, die eine unabsehbare Fülle von Menschen z. B. dem Dauerlauf zugeführt hat. Dabei durchmischen sich Themen und Werte des Sports (Leistung, Rekord und Konkurrenz) mit Aspekten des Heiligen und Religiösen. Es werden Natur, Gesundheit und der menschliche Körper zu Aspekten eines neuen Glaubens, eines Aufgehobenseins und einer Sinnstiftung, die weit über die Laufbewegung hinausgehen.
Laufen oder auch Bergsteigen können als eine moderne Form der Meditation und als eine Suche nach dem Heiligen im Profanen (Weltlichen/Alltäglichen) begriffen werden. Angestrebt wird die Versöhnung mit der Natur und mit dem eigenen Körper. Die Gesundheit wird zu einem neuen, fast religiösen Wert erhoben. Das Laufen wird als persönlicher Weg zu einem neuen Sinn gesehen, wobei dieser Weg über die Bewegung und den Körper „erarbeitet“ wird. Der Alltag wird mit Aktivitäten aufgeladen, die ihn entlasten und ihm zugleich Bedeutung verleihen.
Stadtläufe und Stadt-Marathons können als ein modernes Ritual begriffen werden, in dem sich der Alltag vorübergehend auflöst und zum Fest wird. Die Stadt wird zu einem heiligen Ort, zu einem Pilgerziel der Läufer/innen. Aus den Straßen, die den Verkehr regeln, wird eine Bühne für die sich bewegende Masse.
Es formt sich eine Gemeinschaft, die den Einzelnen aufnimmt, ihn seine Besonderheit spüren lässt und ihn in andere Dimensionen des Daseins trägt. Der Marathon kann als die Erfüllung eines individuellen Traums vom Glück gesehen werden, als ein Mythos, der dem Alltag einen Hauch von Sinn verleiht und zugleich die Person aufwertet. Im Glauben an die eigenen Fähigkeiten und durch das Erfahren der eigenen Tüchtigkeit „erläuft“ sich jemand eine nicht zu unterschätzende Selbsterhöhung.
In steter Wiederholung dieses Abenteuers in einer breitensportlichen Läuferkarriere wird das individuelle Dasein auf den durchaus heiligen Wert dieses Akts bezogen und hiermit das Tun nachhaltig anerkannt. Viele Volks- und Marathonläufer/innen gelten so als Fanatiker/innen, die getrieben und nahezu besessen sind und von einem irrationalen Rausch erfüllt scheinen, sich zu quälen und zu kasteien, ja zu geißeln, um die Lust des kurzen Augenblicks zu erleben, wenn das Ziel erreicht, der persönliche Gipfel erklommen ist.
Körperliches Wohlergehen, Erfahrungen des Körpers, der Natur und der sozialen Umwelt werden zu Themen, die religiös und sinnstiftend wirken. Sie erhalten in ihrer Bedeutsamkeit magische Dimensionen. Die magische Praxis der Dauerläufer/innen ist vielfältig: Plaketten; Urkunden; Talismane; Schuhe, die man nicht wechselt; Leibchen, die man immer bei Wettkämpfen trägt; spezielle Wettkampforte und Strecken, auf denen man immer Erfolg hatte. Läufe – wie der New York City Marathon oder der 100-km-Lauf von Biel – üben magischen Zauber aus: Wer dort war und das Ziel erreicht hat, der ist mit besonderer Kraft ausgestattet und von einem besonderen Zauber umgeben.
Glücksbringer sind weitverbreitet; Erzählungen gewinnen den Charakter von Legenden. Im Vorfeld von Läufen wird der Erfolg regelrecht beschworen. Es werden Tabus aufgestellt, deren Übertretung den Erfolg schmälert. Testläufe vor einem wichtigen Lauf sollen Orakelfunktionen übernehmen und die Angst vor einem Versagen bannen. Man weiß sich aber auch vor Verzauberung zu schützen und spricht z. B. in den letzten Minuten vor dem Start mit niemandem mehr.
Mit rhythmischem Schnaufen will man die eigene Kraft erzwingen. Die permanente Anfeuerung durch die Zuschauer/innen ist nicht nur Aufforderung, sie ist auch Bestätigung der eigenen Kraft. Öle, Essenzen und Getränke – die in magischen Ritualen schon immer große Bedeutung hatten – sind auch in der Laufbewegung weitverbreitet. Ihre Verwendung strahlt einen Hauch von Glauben und Magie aus.
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Fasten ist „in“. Dabei geht es weniger um die Jahrhunderte alte religiöse Übung während der 40-tägigen Fastenzeit, im Vordergrund stehen vielmehr gesundheitliche Aspekte. Fasten ist ein Trend des Wellness- und Lifestylebereiches geworden. Seminar- und Bildungshäuser, Wellnesshotels und Gesundheitstrainer/innen bieten Fastenseminare an, Zeitschriften geben Tipps, wie man eine Woche ohne feste Nahrung gestalten kann. So wie man das Auto zum Service bringt, so soll man ein oder zwei Mal pro Jahr seinen Körper von Fett, Schlacken und zu viel Säure reinigen.
Doch Fasten kann man übertreiben, der Verzicht auf Nahrung kann zur Sucht werden, die nicht geringe Zahl magersüchtiger Jugendlicher sei als erschreckendes Beispiel angeführt. Vielleicht ist der Fastenkult nur einer der vielen Trends, die seit Jahren auf dem Ernährungssektor beobachtet werden. Das denkt sich zumindest Wolfgang Bauer, der sich im unten abrufbaren Langtext in einem Essay im Wirrwarr verschiedener Ernährungstipps zurechtzufinden versucht.
Im religiösen Leben des Landes ist die Pongauer Gemeinde Goldegg für ihre Fronleichnamsprozession weithin bekannt. Diese Prozession führt nach der Messe um den Goldegger See, an mehreren Stationen wird das Evangelium verkündet, Fürbitten werden gesprochen. Auch der Segen wird gegeben. Vereine wie die Musikkapelle und die Schützen begleiten den Umzug. Fronleichnam wurde von Papst Urban IV. 1264 zum Fest des Leibes Christi erhoben. Es ist ein Erinnerungsfest an die Einsetzung des Altarsakramentes, das eigentlich am Gründonnerstag gefeiert werden müsste. Weil man es aber für die Passionswoche als unangebracht empfindet, wird es nach hinten verlegt, auf den zweiten Donnerstag nach Pfingsten. Seit Ende des 13. Jahrhunderts kennt man Fronleichnamsprozessionen (etwa aus Köln), seit dem Konzil von Trient im 16. Jahrhundert dienen sie vor allem der Demonstration katholischen Glaubens (Martin Luther hatte nämlich eine große Abneigung gegen dieses Fest).
Seit 1982 beginnt in Goldegg am Fronleichnamstag eine Veranstaltung, die bereits weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt ist – die Goldegger Dialoge. An jenem arbeitsfreien Donnerstag 60 Tage nach Ostern, 20 Tage nach Christi Himmelfahrt und zehn Tage nach Pfingsten tritt in dem Pongauer Ort ein Motto in Kraft, das seit mehr als 20 Jahren Gültigkeit hat – „Gesundheit ist lernbar“. Dieser Slogan gilt bei jeder Veranstaltung, egal ob man sich mit Ängsten, Süchten oder mit dem allerschwierigsten Thema – den menschlichen Beziehungen – beschäftigt.[46] Die Veranstalter sind mittlerweile ein eingespieltes Organisationsteam: der Kulturverein Schloss Goldegg, die örtliche Gemeinde, die Ärztekammer für Salzburg sowie das ORF-Landesstudio Salzburg, das von dieser Tagung umfangreich berichtet.
Die Namen der Protagonistinnen und Protagonisten, die in Goldegg in den Tagen um Fronleichnam bisher etwas zu sagen hatten, lesen sich wie ein „Who’s who“ der Szene aus Medizin, Psychologie, Philosophie und Kunst: Erwin Ringel, Friedensreich Hundertwasser, Eugen Drewermann, Verena Kast, Konstantin Wecker, Peter Schellenbaum, Heinrich Schipperges, Josef Hader, Ingrid Riedel, Erwin Chargaff, Arno Gruen, Marianne Gronemeyer, Ruediger Dahlke, David Steindl-Rast, Rotraud A. Perner, Robert Jungk u. a.
600 bis 700 Besucher/innen – 70 % der Teilnehmer/innen sind Frauen – kommen alljährlich zu den Dialogen nach Goldegg, um den Referierenden zuzuhören, mit ihnen zu diskutieren und um im Workshop ein Thema durchzuarbeiten. Viele kommen von weit her und nehmen sich ausgiebig Zeit für das jeweilige Thema. Ein Wochenende lang Seminare und Vorträge, dazu Spaziergänge, Badefreuden im See und kulinarische Highlights in der Goldegger Gastronomie, Zeit für Freunde, Zeit für sich selbst.
Der Gesundheits-, Ego- oder Wellnesstrip nach Goldegg ist durchaus leistbar. Für die dreitägige Pauschalkarte zahlte man bei den 21. Goldegger Dialogen 2002 ganze 100,-- Euro. Darin enthalten waren der Besuch sämtlicher Vorträge sowie die Teilnahme an einer Arbeitsgruppe (es gab während der drei Tage insgesamt acht Vorträge mit anschließenden Diskussionen; eine Arbeitsgruppe bestand aus vier Einheiten zu je zwei Stunden). Dieser Preis kann sich im Vergleich mit so manchem Bildungshaus mehr als sehen lassen. Ca. 350 Personen nehmen die Pauschalkarte in Anspruch, sind also während aller drei Dialogtage in Goldegg.
Die Veranstaltung der Goldegger Dialoge ist auf das Schloss Goldegg als Veranstaltungsort konzentriert. Die mittelalterliche Anlage bietet das adäquate Ambiente für die mehrtägige Pflege von Herz und Hirn. Dort finden die Vorträge und ein Teil der Seminare statt, einige Seminare werden in der nahen Volksschule abgehalten.
Das Schloss wird als Austragungsort der großen Protestantenausstellung des Jahres 1981 gründlich renoviert. Ein Kulturverein wird gegründet, damit die prächtigen Räume und Säle auch nach der Ausstellung für weitere Veranstaltungen genutzt werden. Ein Gesundheitsforum wird geplant, um verschiedene Themen möglichst umfassend und manchmal auch kontrovers diskutieren zu können. Auch die Alternativ- und Ganzheitsmedizin soll zu Wort kommen. Es geht von Anbeginn an um einen Austausch von verschiedenen Richtungen und Strömungen der Heilkunde, auch der Dialog mit anderen Disziplinen ist von großer Bedeutung. Zielpublikum sind interessierte, offene Menschen. Ein an medizinischen Fragen interessiertes Laienpublikum (ca. 50 % der Besucher/innen) ist ebenso willkommen wie solche, die aus beruflichen Gründen kommen (so nutzen z. B. Psychologinnen/Psychologen, Sozialarbeiter/innen, Lehrer/innen usw. die Dialoge als private Fortbildung, außerdem sind in der mehr als 20-jährigen Geschichte der Veranstaltung zahlreiche Fortbildungsseminare für Ärzte angeboten worden).
Bei den ersten Goldegger Dialogen im Jahre 1982 wird das Thema „Ernährung“ abgehandelt. Die Diskussionen verlaufen zum Teil sehr kontrovers. 1985 eröffnet Friedensreich Hundertwasser die Dialoge (Thema: „Der Mensch und seine Hüllen“) mit Ausführungen über die zweite (Kleidung) und die dritte Haut (Behausung) des Menschen. Sein Referat liest er von einer großen Rolle, mit jedem Satz spult er mehr Papier in die Reihen des Publikums. Er plädiert eindringlich für das „Fensterrecht jedes Einzelnen“: jeder solle seine Haus- oder Fensterfassade individuell gestalten dürfen. Mit seiner hohen Stimme schildert er die Sinnlichkeit und Sinnhaftigkeit unebener Böden und asymmetrischer Wände.
Ein Jahr später bringt der Schweizer Hans A. Pestalozzi erfrischende Denkansätze mit nach Goldegg – das Thema in diesem Jahr: „Arbeit und Freizeit – Entfremdete Zeit?“. Der Exmanager und profunde Kritiker des modernen Wirtschaftssystems diskutiert mit der in der Gastronomie tätigen Dorfjugend über den Sinn ihres Tuns. Pestalozzi, der Arbeit unter dem Aspekt der Sinnhaftigkeit und Selbstverwirklichung sieht und eher der Idee der Freizeit (lat. otium) anhängt als deren Verneinung, der Arbeit (lat. negotium), tritt mit den leistungsbereiten Junghoteliers in einen erfrischenden Dialog. So richtig turbulent wird es beim Thema „Heilen durch den Geist“ im Jahr 1987. Da platzt nicht nur wegen des enormen Andranges das Schloss Goldegg aus allen Nähten. Da gerät auch der Dialog zur harten Konfrontation zwischen Schulmedizinerinnen und -medizinern sowie Geistheilerinnen und -heilern.
Abgesehen von diesen Beispielen hat praktisch jedes Dialogthema seine Highlights. Sei es wegen seiner spannenden Referent/innen, sei es wegen provokanter Thesen oder weil Aussagen die Zuhörer/innen betroffen machen. Manchmal sind die Dialoge auch Vorreiter: Bestimmte Themen, Titel und Referentinnen und Referenten findet man eine Zeit danach auch in anderen Einrichtungen.
Samstag, 27. Mai 1989: Die 8. Goldegger Dialoge neigen sich dem Ende zu. Ein Abschlussvortrag, eine letzte Podiumsdiskussion zum Thema „Lebensängste – Ängste leben“. Es folgt ein Fest im Dorf mit Bauernmarkt und Blasmusik. Auch die Schützen nehmen Aufstellung, eine Ehrensalve ist angesagt. Das Publikum wartet gespannt. Da tritt ein alter Herr mit weißem, zerzaustem Haar aus der Menge, geht zu den Schützen und steckt in jeden Gewehrlauf eine weiße Nelke.
Der bekannte Zukunftsforscher, Schriftsteller und Friedensaktivist Robert Jungk (1913–1994) zählt zur prominent besetzten Liste der Vortragenden der Goldegger Dialoge. Das Thema seines Seminars während der drei Tage: Zukunftsängste.
Vor dieser Nelken-Aktion hatte er noch im Schlussplenum in der großen Dachhalle des Schlosses resümiert (zusammenfasst): „Ich empfand die Begegnung mit vielen Menschen, die sich ernsthaft Sorge um unsere Umwelt, um unsere Zukunft machen, hier sehr wichtig. Ich habe gemerkt, wieviel ernster das als noch vor einigen Jahren genommen wird. Daß man dabei nicht nur bei Kritik stehen bleibt, sondern sich überlegt, was man tun kann. Wie kann man versuchen, die Welt zu erhalten? Wie kann man neue Hoffnungen wecken?“.[47] Jetzt verteilt Robert Jungk die weißen Nelken. Die Schützen nehmen es gelassen.
Die Teilnehmer/innen sind immer wieder positiv überrascht, dass eine hochkarätig besetzte Tagung wie die Goldegger Dialoge inmitten einer dörflichen Idylle stattfindet. Viele Gäste entdecken auch, dass Schloss Goldegg neben den Dialogen noch eine Menge anderer Seminare beherbergt. z. B. die „Begegnungen“, das sind „Seminare für Gesundheit und Lebens-Lust“. Sie sind letztlich ein weiterführendes Ergebnis der Dialoge. Dazu kommen zahlreiche Ausstellungen, Konzerte, Kabaretts. Schloss Goldegg ist nicht umsonst das Seminar- und Bildungszentrum des Pongaues.
Das mittelalterliche Schloss in dem kleinen Pongauer Ort ist ein erfrischender Kontrast zu den klimatisierten und digitalisierten Kongress- und Tagungszentren der Städte. Goldegg ist anders, ist kleiner, überschaubarer, persönlicher. So tragen etwa bei den Dialogen zahlreiche ehrenamtlich tätige Mitglieder des Kulturvereines dazu bei, dass die Veranstaltung gelingt. Sie haben für die Wünsche und Anregungen der Besucher/innen stets ein offenes Ohr und bewirken, dass sich die Teilnehmenden und Gruppenleiter/innen in den Seminarräumen wohlfühlen. Außerdem klingen seit Anbeginn die Dialoge mit einem großen Fest im Dorf aus. Dort haben nicht nur die Trachtenmusikkapelle und die Schützen ihren großen Auftritt, auch die Bauern und Bäuerinnen des Ortes präsentieren ebenso wie die Gastronominnen und Gastronomen ihre Spezialitäten.
Der Übergang vom letzten Vortrag der Dialoge zum anschließenden Dorffest wird manchmal besonders harmonisch gestaltet. Da holt die Musikkapelle Teilnehmende und Vortragende mit einem Ständchen im Schlosshof ab und geleitet sie zum Dorfplatz. Dort, bei den Ständen und Tischen, werden dann die letzten noch offenen Fragen bei Bauernkrapfen und Vogelbeerschnaps diskutiert. Denn das Prinzip des Dialoges ist bei Dorffesten schon lange bekannt.
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Unter der „österlichen Zeit“ versteht die Kirche die 50 auf Ostern folgenden Tage, die mit dem Pfingstfest enden. Die Bräuche des Osterfestkreises umfassen landläufig die gesamte Fastenzeit, die Karwoche, das Osterfest und das „kleine Osterfest“ am Weißen Sonntag nach Ostern.
Das Osterfest wurde vom Konzil von Nizäa im Jahre 325 auf den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond festgesetzt, damit wurde der „Osterfeststreit“ beendet. Die Initialen der Messbücher verwendeten für das Osterfest oft den Hasen – das Monatssymbol für den März. So wurde auch bald der Osterhase, neben Henne und Hahn, Symbol des Osterfestes.
Das Wort „Ostern“ leitet sich vom althochdeutschen „eostarun“ (Mehrzahl für Morgenröte) ab, in Übersetzung der lateinischen Bezeichnung für die Osterwoche „albae“ (nur bei süd- und westdeutschen Stämmen verwendet). Alle anderen Völker verwenden das lateinische Wort „pasca“ (gleichbedeutend mit Frühling). Im 4. Jahrhundert wurden der Karfreitag zum Tag des Leidensgedenkens und die Osternacht zum Auferstehungsfest.
Seit dem 2. Jahrhundert ist das 40-stündige Trauerfasten am Karfreitag und Karsamstag bekannt, im 3. Jahrhundert dehnte man es auf die Karwoche aus. Im 5. Jahrhundert bezog man die vier Werktage vor dem ersten Fastensonntag in die 40-tägige Fastenzeit ein und kam so zum Aschermittwoch als Beginn der Fastenzeit (durch Papst Innozenz I.). Diese Fastenzeit wurde streng eingehalten, und es entwickelten sich sogenannte „verbotene Speisen“. Für die Menschen auf dem Lande bedeutete Fasten Verzicht auf Fleisch, Fett und Eier. Unter den wirtschaftlich Bessergestellten entwickelte sich eine wahre Kunst der Fastenküche. Als Fastenspeise (erstmals im 9. Jahrhundert belegt) wie Beichtgeschenk gilt die Brezel. In Salzburg sind Fastenbrezeln in unterschiedlichen Formen (Ringform im Lungau, Brezenform im Flachgau und Rupertiwinkel) für das ganze Land bezeugt.
Ein wichtiges Element der Fastenzeit sind die Fastentücher, die in den katholischen Kirchen die Kreuze während der Fastenzeit in den Farben Schwarz und Violett (kirchliche Trauerfarben) verhüllen. Die Fastentücher entwickelten sich im Mittelalter zu bildlich durchgestalteten Leidensgeschichten, die zum Mitleid anregen sollten.
Die „Mittfastenzeit“ war auch die Zeit der großen Frühjahrsmärkte. Der heute einzige annähernd erhaltene Markt dieser Art ist der Wiener Fastenmarkt am Kalvarienberg. In Salzburg geht die Salzburger Dult (Frühjahrsdult) – heute Pfingsten – auf den alten Fastenmarkt zurück.
Die Karwoche (ahd. Kara, die Sorge) beginnt mit der Palmprozession am Palmsonntag und endet mit dem Karsamstag. Wird der Ostersonntag einbezogen, spricht man von der „heiligen Woche“. Sinn der Karwoche ist das trauernde Gedenken des Leidens Christi.
Die seit dem 7. Jahrhundert belegten Palmprozessionen am Palmsonntag verbinden den Einzug Jesu Christi in Jerusalem mit älteren Segens- und Fruchtbarkeitsriten. Die Palmprozession erlebte in der Zeit der Gegenreformation (16. Jahrhundert) eine Hochblüte. Der erste Beleg für einen lebenden Palmesel bei Prozessionen stammt von 970. Auch viele Salzburger Orte hatten im Barock Palmeselfiguren, die aber unter Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo als „Müssbräuche“ 1785 verboten wurden.
Die kirchliche Segnung der Zweige ist seit dem 9. Jahrhundert in Europa nachweisbar. Als „Palmen“ wurden viele regionale Sorten zu diesem Zeitpunkt grünender Zweige verwendet; im Alpenraum die jeweils jungen Austriebe der Saison (im Lungau und Pinzgau fast nur Weiden). Sie werden vielfach bis heute noch als Palmen bezeichnet. Der geweihte Palmzweig gilt im Volksglauben als besonders Heil und Segen bringend, ihm werden vielfache Abwehrfunktionen zugeschrieben.
Der Gründonnerstag ist der letzte Tag der 40-tägigen Fastenzeit vor den drei österlichen Tagen. Die Herkunft seines Namens ist umstritten, wird aber meist mit dem Wort „greinen“ für „weinen“ erklärt. Seit dem 5. Jahrhundert werden an diesem Tag die heiligen Öle geweiht. Am Abend wird die Messe zum Gedächtnis des letzten Abendmahles gefeiert. In diese Messe wurde auch die Fußwaschung aufgenommen.
Vom Gloria des Gründonnerstages – volkstümlich von der „Ölbergandacht“ an – schweigen die Glocken als Zeichen der Trauer bis zur Auferstehungsfeier. Laut Volksmund „fliegen sie nach Rom“. Die Funktion des Gebetsläutens übernehmen Ratschen und Klappern. Das Karwochenratschen geht in seiner heute am Land noch bekannten Form auf die Gegenreformationszeit zurück. Der älteste Beleg für unseren Raum stammt aus Laufen, dort gestatteten die Jesuiten ihren Schülern nach den Pumpermetten am Gründonnerstag und Karfreitag mit Rumpelfässern und Lärminstrumenten im Dorf den Verrat des Judas kundzutun.
Der Karfreitag stellt das Gedenken an die Gefangenschaft, Geißelung und Verurteilung Jesu Christi dar. Er erinnert an seinen Kreuzweg und Tod. Das Leiden-Christi-, Marter- oder Maschta-Singen – ein Umzugssingen – ist wie in Südostösterreich auch im Großarltal und um Altenmarkt im Pongau am Karfreitag gebräuchlich. Im Allgemeinen steht in unseren Breiten die Grabverehrung und die Karfreitagsandacht („Ölbergandacht“) im Vordergrund.
Die Heilig-Grab-Verehrung erlebte die ersten Höhepunkte bereits im 4. Jahrhundert und erneut mit den Kreuzzügen zum Heiligen Grab in Jerusalem – dieses wurde zum Zentrum der Glaubenskämpfe. Grabpartikel waren kostbare und begehrte Objekte der religiösen Verehrung.
In der Gegenreformationszeit und im Barock entstand schließlich eine Fülle von Heiligen Gräbern, kunstvoll mit Öllampen und Wasser gefüllten Schusterkugeln beleuchtet, oft mit Wassermechanik und Theaterprospekten versehen. Ein barocker Grabprospekt ist u. a. im Museum Saalfelden erhalten. Für den privaten Gebrauch entstanden eine Fülle kunsthistorisch unterschiedlich bedeutsamer Guckkästen und Vitrinen. Hinterglasmalereien aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die für die ärmere Bevölkerung erschwinglich waren, stellen Heilige Gräber dar.
Das Heilige Grab von Höglwörth ist eines der letzten großen barocken „Herrengräber“ Bayerns. Es kann auf eine bewegte Geschichte zurückblicken, denn im 18. Jahrhundert wurde es vom damals zuständigen Salzburger Erzbischof eine Zeit lang verboten. Das Grab wurde offensichtlich versteckt und hat das Verbot dadurch überlebt. Um 1840 bestand es wieder und erlebte Mitte des 20. Jahrhunderts eine weitere Abschaffung. Durch die Reform der Osterliturgie zwischen 1951 und 1955 erloschen viele Gräber ganz. Erst rund um das Jahr 2000 erlebten noch erhaltene Gräber eine Renaissance.
Der Karsamstag erhielt bereits im 12. Jahrhundert österliches Gepräge, ist aber heute „Tag tiefster Trauer“. Von der Taufwasserweihe am Karsamstag wird vielfach geweihtes Wasser in einer Flasche mit in die Haushalte genommen.
Nach der Osternachtfeier am Karsamstag und auch nach dem Gottesdienst am Ostersonntag findet die sogenannte „Speisenweihe“ bzw. Segnung der Osterspeisen statt. „Die Weich“, der Weihkorb für die Segnung der Speisen, ist weitverbreitet und auch Menschen wichtig, die sonst keine enge Beziehung zur katholischen Kirche haben. Als Decktuch ist das geweihte Speisentuch üblich. Es ist aus weißem Leinen, am Rande bestickt und hat an den Ecken Quasten (z. B. in Altenmarkt im Pongau). Der Weihkorb enthält traditionelle Osterspeisen – die Butter wird häufig als Lamm geformt oder in Striezeln verziert. Ebenso verbreitet sind auch die private Osterkerze, das Osterfeuer, die kirchliche Feuerweihe, das Böllerschießen (unterlag oftmals Verboten) und besonders wichtig: die Auferstehungsfeier, die im Salzburger Dom, dessen Hochaltarbild den Auferstandenen zeigt, besonders eindrucksvoll gestaltet ist.
Als Symbole des Ostersonntages stehen der aus dem Grab auferstandene Heiland in Siegerpose, mit der Kreuzfahne in einer Hand und mit der anderen auf seine Brustwunde zeigend oder das Osterlamm mit der Kreuzfahne als Sinnbild des Auferstandenen.
Als Relikt barocker Passions- und Osterspiele ist das Leiden-Christi-Singen zu bezeichnen. Nach dem St. Gallener Passionsspiel von 975 ist für unsere Region das Passionsspiel des Augustiner Chorherrenstiftes Herrenchiemsee aus dem 13. Jahrhundert zu nennen, das für viele Orte vorbildlich war.
Die vielen im Mittelalter entstandenen Mess- und Andachtsspiele, in lateinischer Sprache von Lateinschülern und Chorknaben aufgeführt, erhielten bald komische Einschübe in deutscher Sprache und gingen am Ende des Mittelalters aus der Kirche auf den Dorfplatz hinaus. Gleichzeitig verbreiteten sich seit dem 11. Jahrhundert reich ausgestattete Sakramentsgeleite mit den Orden von Spanien über Europa. Daraus verwoben sich in der Gegenreformation Fronleichnams- und Karwochenprozessionen mit Figurationen der Leidensgeschichte. So stellte u. a. auch in Salzburg im 17./18. Jahrhundert die Corpus-Christi-Bruderschaft in der Karfreitagsprozession auf Schauwägen das Leiden Christi dar.
Unter Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo wurden die Passions- und Osterspiele im Zuge der Reformen der Aufklärung verboten. Später lebten diese wieder auf (z. B.: Oberammergauer Passionsspiele von 1633). Seit 1983 wird die „Salzburger Passion“ vereinzelt in den Wallfahrtskirchen Großgmain und Maria Kirchenthal aufgeführt.
Das Osterei, als Ei bereits Sinnbild neuen Lebens, stand schon im Hochmittelalter als Symbol für das Osterfest. Im 16. Jahrhundert entwickelten flämische Protestanten den Eierbaum. Der Ostereierstrauch kam erst im 20. Jahrhundert in Österreich in Mode. Das Eierfärben geschah vor allem am Gründonnerstag, aber auch noch am Karsamstag. Heute kaufen viele Haushalte bereits gefärbte Eier in Geschäften und auf Märkten. Das Schenken von Eiern gilt in jedem Fall als Beweis der Zuneigung.
Den „Antlasseiern“, jenen am Gründonnerstag, Karfreitag und Karsamstag gelegten Eiern, kommt eine besondere Bedeutung zu. Ihren Namen beziehen sie vom Gründonnerstag, der als „Antlasstag“ – in Salzburg vielfach „Weichenpfingsttag“ (von Weihe) – bis ins späte Mittelalter der Tag der Entlassung aus der Kirchenbuße war. Nach der Abendmahlfeier durften die Glaubensanwärter erstmalig die Kirche betreten und sich auf die Taufe am Karsamstag vorbereiten. „Antlasseier“ sollen Mensch und Vieh vor Krankheit und Unglück schützen.
Die Ostereierspiele der Kinder und Erwachsenen sind im Verschwinden begriffen, nur das „Eierpecken“ wird vielfach im Familien- und Freundeskreis noch praktiziert. Spiele wie das Eierhauen (Gewinnspiel), das Eierscheiben (wie Kugelscheiben) und das Eierklauben (Schnelligkeitsspiel) werden nur noch selten ausgeübt. Eine weitere Vergnügung zur Osterzeit ist das Lungauer „Gonesrennen“ (Paarspiel). Spiele sollten (ebenso wie die bis zum Barock vergnüglichen Predigten) das Ostergelächter der Christen als Zeichen der Freude über die Auferstehung erzeugen.
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Der Lungau kann mit vielen volkskulturellen Eigenheiten faszinieren – Besucher/innen werden gerne auf diese oder jene Besonderheit aufmerksam gemacht. Eine dieser Besonderheiten ist der Brauch des Karwochenratschens. Wie in vielen anderen Gegenden Österreichs wird dieser Brauch als so selbstverständlich empfunden, dass er oft gar keine Erwähnung findet. Es ist ein sogenannter „intakter“ Brauch, der eine große Vielfalt im Erscheinungsbild aufweist.
Mit dem Lärm von Ratschen und Klappern hören wir die ältesten Instrumente der Menschheit. Die ursprünglichste Funktion von Lärminstrumenten ist in den Riten zu finden. Damit diese wirksamer werden können, bedarf es der Verstärkung. Das kräftigste Kultgerät zur Verstärkung der menschlichen Stimme ist das Musikinstrument.
Die primäre Lärmerzeugung erfolgt durch körpereigene Instrumente (Klatschen, Schlagen, Stampfen). Erweitert wurde dies mit sogenannten „Aufschlägern“ (Stäbe, Rasseln, Balken) und Aufschlagplatten. Dazu kamen im ersten nachchristlichen Jahrtausend die Ratschen oder Schnarren.
In der gesamten katholischen Welt verstummen in den Kirchen zum Zeichen der Trauer am Gründonnerstag die Glocken. Vielerorts wurden und werden sie durch hölzerne Schlaginstrumente ersetzt. Die Benützung von Klappern und Ratschen geht in das frühe Mittelalter zurück. Um die Wende zum 16. Jahrhundert kam es in Österreich zu einem Höhepunkt der tumultartigen „Volksfrömmigkeit“ durch Lärm und Geschrei während der österlichen Gottesdienste.
Im Lungau, diesem doch eher kleinen Gebiet, fasziniert das bis heute so differenzierte Bild des Ratscherbrauchs. Jede Gemeinde bzw. Ratschergruppe zeichnet sich durch die unterschiedliche Verwendung des Instrumentariums, des zeitlichen und räumlichen Ablaufs, der Organisation, Intention und Entlohnung aus.
In den meisten Fällen „klappern“ die Ministranten – in seltenen Ausnahmefällen auch kundige Gemeindemitglieder. Seit jüngerer Zeit gibt es in manchen Gemeinden auch Mädchen, die ratschen dürfen (Tamsweg, St. Margarethen und Sauerfeld), doch in den meisten Ratschergruppen ist die Teilnahme von Mädchen undenkbar. Die Gruppen setzen sich in erster Linie aus Schülern der Pflichtschule (von ca. 8 bis 14 Jahren) zusammen.
Viele Umstände des Ratscherwesens im Lungau haben sich mit der Zeit geändert. Dazu beigetragen haben das geänderte Verhalten der Geistlichkeit, die Mitwirkung von Mädchen, die Einflüsse des Tourismus und die vielfältigen Änderungen in der Lebensweise der Kinder und Jugendlichen. Das „eigentliche“ Ratschen war nach Erzählung ehemaliger Ratscher strenger und genauer.
Die Probenzeiten sind von Gemeinde zu Gemeinde sehr unterschiedlich – in Mauterndorf proben die Ratscher ab Aschermittwoch, in St. Martin etwa zwei Wochen vor Ostern, in Sauerfeld erst in der Karwoche und in Muhr im Zuge der Ministrantenproben. In Orten, in denen nicht geprobt wird, gibt es für Fehler beim Ratschen keine Strafen („Påtzn“). Meistens werden die Streiche mit dem „Påtznstaberl“ nur mehr „theoretisch“ mit der mitgeführten Gerte angedeutet. Ebenso unterschiedlich wie die Probenzeit sind auch Ort, Dauer und Form des Ratschens. Sind eine oder mehrere Ratschen vorhanden, so wird grundsätzlich in oder in unmittelbarer Umgebung der Kirche geratscht.
Früher nächtigten die Buben in den Orten Tamsweg, St. Michael, St. Martin und in Mauterndorf von Gründonnerstag bis Karsamstag in einem gemeinsamen Quartier. Das gemeinsame Nächtigen hat sich teilweise erhalten, zum Frühstück begibt man sich heute jedoch nach Hause. In jedem Fall wurden und werden auch heute noch Freundschaften und der Zusammenhalt gestärkt.
In vielen Lungauer Gemeinden erhalten die Ratscher eine schriftliche Ratscherordnung, worin die Einteilung der Ratscher sowie eine Erklärung zu Art und Dauer des Ratschens enthalten sind (Tamsweg, Mariapfarr). In Mauterndorf z. B. wird die Ratscherordnung nur mündlich vorgegeben. Dort gibt es kurz vor 5 Uhr das „Tagläutratschen“, um 11 Uhr das „Elferatschen“, um 12 Uhr das „Zwölferatschen“ und zuletzt um 14 Uhr den Ruf „Heut um drei bei da Kirch’n“. Am Karsamstag wiederholt sich dies bis 12 Uhr und anschließend gehen die Buben absammeln.
Beim Sammeln ratschen die Buben in Mauterndorf so lange, bis geöffnet wird, man bedankt sich und wünscht „Frohe Ostern“. Die Bereitschaft zur Gabe von Naturalien und Geld ist durchaus gegeben. In St. Andrä bekommen die Kinder keinen Lohn, aber im Gasthaus eine Jause.
Die Befriedigung, einen Dienst für die Gemeinschaft geleistet zu haben, lässt die Strapazen und oft großen Mühen, die die meisten Gruppen auf sich nehmen, bald vergessen. Ein besonderer Nachweis ist der begeisterte Selbstbau der Ratschen im Werkunterricht. Die materielle Entlohnung ist den Buben und Mädchen selbstverständlich willkommen und auch Ansporn, doch die Hauptbeweggründe werden durch einen Ausspruch der Mauterndorfer Ratschenbuben deutlich gemacht: „Mir mach’ns a weg’n da Gaudi!“
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Das Zeitalter der Aufklärung hatte keinen inneren Zugang zu den Überlieferungen der Volksfrömmigkeit. Die ausdrucksstarke Glaubensvermittlung in Texten und Bildern galt ihr als Beweis einer inhaltsleeren „Frömmelei“, die von der wahren Andacht und der verinnerlichten Gottsuche ablenke.
Aus der Chronik von Felix Adauctus Haslberger[51] (1731–1809) können wir die Eingriffe in die Frömmigkeitspflege unter dem Salzburger Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo ersehen. Da wurde vieles verboten: 1777 das von den Kapuzinern als Heilmittel angepriesene „Tamsweger Pulver“; 1782 die Weihnachtskrippen, ferner die Zweige und Bäumchen bei der Fronleichnamsprozession sowie die Sonnwendfeuer. Dem Stift St. Peter wurde der Vitalsgürtel abgefordert; verboten wurden 1784 die österliche Lebensmittelweihe und das Mittragen von Statuen bei Prozessionen, beispielsweise die Tamsweger „Prang“ mit dem „Samson“.[52] 1785 wurde das lange Wetterläuten eingeschränkt, erlaubt war nur noch ein kurzes dreimaliges Glockenzeichen bei Beginn und Ende des Gewitters. Weiters wurden die Wallfahrten mit Übernachtung sowie das Böllerschießen bei Prozessionen untersagt.
Eine Verordnung von 1787 reduzierte die Zahl der erlaubten „Umgänge“ außerhalb des Kirchortes auf drei, zum Fest des heiligen Markus (25. April), an den Pfingstfeiertagen im Salzburger Dom und generell am Fronleichnamstag.[53] Als Ablenkung vom wahren Glauben galten jedoch vor allem die geistlichen Schauspiele und Schauprozessionen am Karfreitag.
Schon durch den vierten Reform-Hirtenbrief von Fürsterzbischof Graf Colloredo vom 14. März 1779 sind „die Spiele, Possen und Mummereyen, welche vormals dabey in manchen Orten getrieben wurden, gemessenst abgestellet worden“. Die Prozession „am Freytage in der Marterwoche“ (Karwoche) fiel unter die Verordnung vom 20. Mai 1785 gegen die weiten Umgänge.
Das Generale Fürsterzbischof Graf Colloredos vom 18. November 1785 befahl außerdem die Abschaffung des „Palmeselherumführens am Palmsonntag und die Vorstellung der Himmelfahrt Christi und der Ankunft des hl. Geistes am Himmelfahrts- und Pfingsttage in den Kirchen gebräuchlich“. Schließlich ersetzten die Verordnungen von 1783 und 1784 die bisher üblichen theatralischen „Grabtheater“ der Karwoche durch ein verordnetes schlichtes „Normalgrab“ nach dem Muster eines beigelegten Kupferstiches.
Von den Oberalmer Passionsspielen erfahren wir aus einem Schriftwechsel zwischen der geistlichen und der weltlichen Behörde über die Zweckmäßigkeit eines Aufführungsverbots im Jahre 1790.[54] Das Dekanalamt Hallein als geistliche Instanz stand ganz auf dem Boden der strengen Aufklärung. Es wiederholte bei dieser Gelegenheit die zeitgenössischen Argumente gegen die geistlichen Laienspiele im Allgemeinen und die Passion im Besonderen.
Solche „Komödien“ waren nach Ansicht des Dechants eher ein Anlass zu Geschmacklosigkeit und Ausschweifung als eine Anleitung zu religiöser Erbauung. Man kannte solche Spiele, die Spieler ebenso wie ihre Aufführungspraxis, und so erfahren wir aus Sicht der Obrigkeit von dieser verbreiteten Kulturform.
Bei den Oberalmer Passionsspielen handelte es sich um „einige Komödien“, welche das Heilsgeschehen in mehreren Bildern und kurzen Geschichten darstellten. Diese Spiele wurden nicht in der Kirche, sondern im abgelegenen Oberalmer „Wirthshause“ vorgeführt, und zwar ausschließlich von Messingarbeitern des Oberalmer Staatsbetriebes. Schon einmal, im Jahr 1774, hatten die Messingarbeiter mit obrigkeitlicher Genehmigung solche „Komödien“ abgehalten. Auf diese Bewilligung berief sich ihr neuerliches Ansuchen.
Die Oberalmer Passionsspiele wurden von Messingarbeitern des Oberalmer Staatsbetriebs aufgeführt. Die Arbeiter waren noch schwerer lenkbar als die bäuerliche Bevölkerung. Sie hatten weder Haus noch Hof und kamen und gingen je nach Arbeitslage. Ihre abgeschlossene Lebenswelt war von außen schwer zu kontrollieren. Ihre Frömmigkeitspflege war nicht unbedingt den Ortsverhältnissen angepasst.
Bedenklich genug, „daß [vielerorts] das höchste Geheimnis unserer Erlösung in Wirthshäusern, auf Theatern, von einer zusammengeklaubten, nicht allerbestens berufenen Rotte in der heiligen Fastenzeit, [...] in vermummten Personen zur Schaue ausgesetzt werde.“ Ein geistliches Laienspiel im seelsorgerisch ohnehin unzureichend kontrollierten Oberalmer Sozialfeld schien bedenklich. Dazu kam noch die Nähe der Stadt Hallein mit ihrer Arbeiterbevölkerung: „das berufene [verrufene] Gesindel“ einer Industriestadt, „welches hauffenweise solchen Schauspielen zulauffen wird“.
Nicht vonseiten der Bauern, sondern von dieser Arbeiterbevölkerung erwartete der Halleiner Dechant Schwierigkeiten, allerlei Possen auf den Straßen und vor den Häusern. Sogar die Angst vor Diebstahl und Raub bemühte der Dechant als Argument gegen die Spiele. Auch die sittliche Gefährdung der Jugend durch „Zusammenpaarungen des ungleichen Geschlechts“ bei solchen Anlässen wurde befürchtet.
Seelsorge war im ausgehenden 18. Jahrhundert schwierig geworden. Angesichts von Vergnügen und Sexualität sah die Obrigkeit die soziale Moral der Menschen gefährdet. Ein bereinigter Glaube sollte gegen eingebürgerte Frömmigkeitsformen durchgesetzt werden.
Als Zusatzverdienst wollten die Messingarbeiter des Oberalmer Staatsbetriebs ein Passionsspiel aufführen; dem Halleiner Dechant schien dies zu gefährlich. Geistliche Spiele im Arbeitermilieu waren für ihn undenkbar. Er kenne „unter den [Oberalmer] Acteurs ein und anderen zugelofenen Menschen, welchem das Possenreissen, Vollsaufen, Raufereyen und dergleichen Unfuge schier zur Natur und Gewohnheit [geworden] sind“, ließ er das Pfleggericht Glanegg als zuständige Staatsbehörde wissen; niemand garantiere daher eine spontane Verirrung der Spiele von der Tragik zur Posse. „Wie bald [könne unter diesen Umständen] eine sonst heilige Vorstellung durch ein und andere zur Gewohnheit gewordene Possensucht das Geheimnis zum Spotte machen“.
Diesen sozialmoralischen Bedenken gesellten sich die Sorgen um die Reinigung von Religion und Frömmigkeit bei. Im Zeitalter der Aufklärung schien die tradierte Dramatikkunst solcher Passionsspiele Zeugnis einer fremd gewordenen Glaubensvermittlung.
Die Zuschauer mit ihrer eigenen Schuld am Leiden Christi zu konfrontieren, das war die Botschaft der Osterspiele. Christus hat „sein Unschuldiges Leben für uns zu einem schultopfer geben“, heißt es im Salzburger Passionsspiel „Christus patiens“ des ausgehenden 16. Jahrhunderts.
Das Geschehen der Spiele verstrickte die Sünde der Menschen mit dem Leid des Gottessohns. Zwischenspiele – beispielsweise die Erzählung einer von Christus vollbrachten Heilung – lockerten die Spannung. Die Spiele enthielten auch derbe judenfeindliche Anspielungen. Der Text eines Salzburger Passionsspiels aus dem 17. Jahrhundert wurde durch eine Szene ausgeschmückt, in der die „verliebte Braut“ Jesus sucht, von seiner Gefangennahme erfährt und nun um sein Leben bangt. Sogar komische Elemente hatten zur psychischen Entlastung in manchen Osterspielen ihren Platz.
Das in Salzburg verfasste und Ostern 1693 an der Benediktineruniversität aufgeführte Schultheaterstück „Disceptatio inter viros et mulieres“ von Pater Wolfgang Rinswerger zeigte den Streit um die Frage, welches Geschlecht denn das bessere sei – das männliche oder das weibliche. Es handelt sich um ein „Osterstück“, in dem mehrere Passionsszenen enthalten waren. Diese sollten zeigen, wer bei Tod und Auferstehung Christi tugendhafter war – Männer oder Frauen. Im Stück ging es ziemlich derb zu, Schimpfworte und Verwünschungen fehlten nicht. Zuletzt mussten das Publikum und der „Saalmesner“ einschreiten, den fruchtlosen Streit zu beenden.
Das Ernste mit dem Komischen zu kombinieren, die Tragik lebensnah zu überzeichnen, die Menschen emotional in das Spiel einzubinden: Diese Schwarz-Weiß-Malerei widersprach der aufgeklärten Gesinnung. Glaube beruhte jetzt auf dem „Religions- und Gewissenspunkt, daß man zur Erkenntnis der Heilswahrheiten und Lebenspflichten seine Vernunft mit allem Ernste, Treue und Eifer gebrauchen soll“, heißt es im fünften Reform-Hirtenbrief von Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo (29. Juni 1782).
Innere Einkehr, Zwiesprache mit Gott, gewissenhafte Sonntagsheiligung, fleißiger Sakramentenempfang, Barmherzigkeit gegen Bedürftige waren Zeugnisse christlicher Gesinnung – und das ganz besonders zur Fastenzeit, die „zur Erbauung und Eingezogenheit“, „zu Geistes Uebungen und fleißiger Beywohnung des Gottesdienstes, dann anderen guten Werken bestimmt ist“, so charakterisierte der Halleiner Dechant eine österliche Gesinnung, von der sein Kirchenvolk noch weit entfernt war.
Dieser Einstellung entsprach die Glaubensvermittlung. Sie wandte sich an Herz und Verstand, nicht an die Schaulust. Der Gottesdienst hatte „möglichst rührend und belehrend“ zu wirken und alles wegzulassen, „was nur die Augen blendet, nur die Einbildungskraft erhitzt, nur ein gedankenloses Staunen erregt“, verordnete der erzbischöfliche Hirtenbrief. „So wird der Unterschied zwischen Andacht und Andächteley, zwischen Herzensreligion und gedankenlosem Mitmachen leerer Ceremonien oder andächtelnder Mummereyen, zwischen wahrer Frömmigkeit und religiösem Grimassenspiel oder gauklnder Heucheley immer mehr kenntbar werden“.[55] In dieser Auffassung hatten geistliche Laienspiele keinen Platz.
Bereits im Jahr 1774 hatte das fürsterzbischöfliche Pfleggericht Glanegg in Hellbrunn den Messingarbeitern des Oberalmer Staatsbetriebs die Aufführung von Spielen genehmigt. Das Pfleggericht teilte die Kritik der geistlichen Obrigkeit an Passionsspielen, genehmigte aber 1790 den Messingarbeitern „einige Komödien mit Beobachtung aller Bescheidenheit, und guten Betragens“.
Schlechte Erfahrung mit den bisherigen Spielen hatte die Behörde nicht gesammelt. Außerdem war der Staat den Messingarbeitern als Arbeitgeber verpflichtet. Der Halleiner Dechant war zwar überzeugt, dass die Arbeiter „genugsamen Unterhalt“ hätten und „ein derley Extraordinar Gewinn nur eine Reizung für ihre unersättliche Gurgel“ sei,[56] die Staatsbehörde wusste es aber vermutlich besser. Die große Zeit der Oberalmer und Ebenauer Messinghämmer war längst abgelaufen.
Im 16. und 17. Jahrhundert versorgte Oberalm mit seinen Produkten ein ausgedehntes salzburgisches, österreichisches und bayerisches Umfeld. Ende des 18. Jahrhunderts bedrohte jedoch die merkantilistische Schutzzollpolitik[57] der Nachbarstaaten die Existenz des Werks. Die Messingarbeiter waren, ähnlich den Oberammergauer Holzschnitzern, dankbar für jeden noch so bescheidenen Nebenverdienst. In diesen sozialen Rahmen sind die Oberalmer Passionsspiele einzuordnen. Religiöses Bedürfnis und Nebenerwerb gingen Hand in Hand.
Einen Text der Oberalmer Passionsspiele überliefern die Akten leider nicht. Inhalt und Aufführungspraxis solcher Spiele waren der Behörde in der damaligen Zeit ohnehin bekannt. Das Spiel vom Leiden Christi steht in einer langen Tradition. Zwar ist aus Salzburg kein mittelalterliches Passionsspiel erhalten, wenn auch in den Liedern des Mönchs von Salzburg „Spuren der szenischen Darstellung des Ostergeschehens“ zu erkennen sind.[58]
Der älteste tradierte Text – „Christus patiens“ von Pater Wolfgang Rinswerger – stammt aus dem späten 16. Jahrhundert. Geistliche Stoffe mit Bezug auf die Passionsgeschichte enthält ferner die Salzburger Schuldramatik des 16. Jahrhunderts. Weiters weiß man von einer, als Druck nur bruchstückhaft überlieferten, in der Handschrift verlorenen Saalfeldener Passion aus dem 18. Jahrhundert.[59] Zudem kennt man ein Loferer Passionslied des ausgehenden 16. Jahrhunderts. Dazu kommt eine im Salzburger Museum Carolino Augusteum/SMCA (seit Mai 2007 Salzburg Museum) aufbewahrte Handschrift des 17. Jahrhunderts „Komedi=Buch / Über die vorstelung des bittern / Leyden, und Sterben unsers / HERREN / Jesus Christus“. Ein Pinzgauer Passionspiel, vielleicht identisch mit der sonst großteils verlorenen Loferer Passion, ist aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts überliefert. Der Text der Oberalmer Spiele wird ähnlich diesen Überlieferungen sein.
Neben der szenischen Darstellung der Passion hat sich in Großarl bis in die Gegenwart das „Ölberg- und Leiden-Christi-Singen“ erhalten. Hier erinnern die Passionssänger – früher 16 bis 18 Bauern und Bauernburschen – in der Nacht vom Gründonnerstag auf Karfreitag von 20 Uhr abends bis 4 Uhr früh Stunde für Stunde an den Leidensweg Christi vom Ölberg bis zum Kreuzestod und wie der Gottessohn durch sein Leiden die Welt erlöste.[60]Als Vorlage für das Großarler Gründonnerstagslied diente ein Druck aus der Zeit um 1720.
Im ausgehenden 18. Jahrhundert waren die Passionsspiele in szenischer und gesungener Form in Salzburg offenbar noch ziemlich weitverbreitet. Im benachbarten Berchtesgaden hielten sich die Traditionen einige Jahre länger. Der aufgeklärte Reiseschriftsteller Joseph August Schultes (1773–1831) hörte sogar von einer für 1805 geplanten „vermummten Charfreytagsprozession“.[61]
Das Volk nahm nur ungerne Abschied von seinen lieb gewordenen Bräuchen. Von förmlicher Widersetzlichkeit gegen das österliche Spielverbot ist – abgesehen von einem unter den Salzburger Dombögen angebrachten Pasquill (Schmähschrift) aus 1783 – nichts bekannt. Diese Schmähschrift spiegelt die judenfeindliche Tendenz der Passionsspiele wider, indem sie vorschlägt, eine „Operette comique, genannt ‚Der jüdische Rath‘ oder ‚Die meisten wider Jesus Christus‘“ aufzuführen.
Fürsterzbischof Hieronymus Graf Colloredo war ein Liebhaber des Theaters als bürgerlicher Moralanstalt. Durch seine Verbote konnten die farbenprächtigen und ausdrucksstarken Frömmigkeitsformen und die geistlichen Spiele nur vereinzelt erhalten bleiben. Manches konnte sich nach einigen Jahren des Verbots wieder entfalten. Solche Traditionsbrücken haben beispielsweise im südböhmischen Höritz, im tirolischen Erl und im bayerischen Oberammergau die Revitalisierung der Passionsspiele ermöglicht.
Nur durch Anpassung in den Zeitgeist überstanden die Oberammergauer Passionsspiele die Reformen der Aufklärung. Denn auch in aufgeklärten Kreisen Churbayerns hörte man die Ansicht, dass „das größte Geheimnis unserer Religion keineswegs auf die Schaubühne gehöre“, so der Tegernseer Benediktiner Heinrich Braun.[62] Schon eine churfürstliche Verordnung vom 13. März 1784 verbot „gnädigst [...] die aufführung der Trauer- und geistlichen Spiele, an Statt der Passions-Tragödien in der Fastenzeit und charwoche zu dem Ende, [...] damit das volck von der arbeit, gebeth und anderen geschäften nicht abgehalten, und zum Müssigggang verwendet werde“.
Die Gemeinde Oberammergau erhielt 1791 (wie bereits 1780) die Erlaubnis, im Turnus von zehn Jahren zu den Pfingstfeiertagen „Schauspiele, das alte und neue Testament betitelt“, abzuhalten.
Diese Ausnahmeregelung wurde durch den neuen, 1780 erstmals zur Aufführung gelangten Passionstext des Ettaler Benediktiners Magnus Knipfelberger (1747–1825) erbracht.[63] Knipfelberger brachte Tradition und Aufklärung in Einklang. In Dankbarkeit und Freude, nicht in Schmerz und Trauer endete die Passion. Das Spiel war zudem von barockem Überschwang, derben Ausdrücken und billigen Effekten bereinigt. Nicht staunen, sondern weinen sollte der gute Christ angesichts der Passion. „Wie die gerührten Sinne das Herz heben, und der Seele zu Gedanken verhelfen“,[64] so brachte das Spiel vom Leiden und Sterben Christi die Menschen zu stiller Einsicht, näher zu Gott.
Im benediktinischen Kunstmilieu Bayerns verstand man es gegen Ende des 18. Jahrhunderts, die Oberammergauer Spiele zu retten. Es war diese Glaubenskonzeption sittlicher Verbesserung und gedanklicher Vertiefung durch Rührung, welche der Halleiner Dechant 1790 bei den Oberalmer Passionsspielen vermisste.
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Die Handschrift 4040 des Salzburger Museum Carolino Augusteum/SMCA (seit 2007 Salzburg Museums) überliefert in Kurrentschrift ein bisher unveröffentlichtes und in der gängigen Literatur unbekanntes Passionsspiel („Komedi=Buch / Über die vorstelung des bittern / Leyden, und Sterben unsers / Herren / Jesus Christus“). Die Handschrift dürfte aus dem 17. Jahrhundert stammen. Sie wird Abraham a San(c)ta Clara (1644–1709), der an der Salzburger Benediktineruniversität ausgebildet wurde, zugeschrieben. Es ist höchstwahrscheinlich kein Werk des großen Predigers, dennoch passt dieses Passionsspiel im weitesten Sinn zur Salzburger Spieltradition.
Anhand der geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die szenische Elemente andeuten, und anhand des Salzburger Passionsspieles „Christus patiens“ von Hugo Grotius (1583–1645) ist es möglich zu zeigen, dass die spätmittelalterliche Spieltradition hier lebte und noch im 16. und 17. Jahrhundert lebendig gewesen sein muss.
Das hervorstechende Merkmal am Aufbau des Salzburger Passionsspieles „Vom Leiden und Sterben Jesu Christi“ ist die Einfügung vieler Szenen aus dem Alten Testament zwischen die einzelnen Szenen des Passionsgeschehens. Diese Szenen aus dem Alten Testament sind auf das Passionsgeschehen typologisch (Vorbildlichkeit alttestamentlicher Personen und Ereignisse für das Neue Testament) sinnvoll bezogen. Es handelt sich nicht um ein übliches spätmittelalterliches Passionsspiel, sondern um einen mit guten theologischen Kenntnissen gestalteten Text. Es bietet einen sonst seltenen Hinweis auf ein gebildetes Publikum.
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Das geistliche Spiel des Mittelalters hat vor allem im Süden des deutschsprachigen Raums charakteristische Ausformungen erhalten (von Bozen, Sterzing bis Schwaz). Aus Salzburg ist kein mittelalterliches Spiel erhalten, dennoch ist es möglich, die Spuren der szenischen Darstellung des Ostergeschehens nachzuzeichnen. Dies ist durch die breite und aufschlussreiche Überlieferung der geistlichen Lieder des Mönchs von Salzburg aus dem 14. Jahrhundert möglich.
Das große Liedcorpus des Mönchs von Salzburg von 49 geistlichen Liedern enthält eine Reihe von Hinweisen auf die Aufführungsform der Lieder und ihre Funktion am Rande der Liturgie. Die bekannteste Szene ist jene des Kindelwiegens mit dem Lied „Joseph, lieber neve min“. Zahlreiche Lieder des Autors sind dem Osterfestkreis gewidmet (z. B.: „Sälig sei der selden zeit“).
Der erste erhaltene Text eines Salzburger Spiels, nämlich des Passionsspiels „Christus patiens“, stammt aus dem 16. Jahrhundert. Die Handschrift liegt im Salzburger Museum Carolino Augusteum/SMCA (seit 2007 Salzburg Museum). Das Passionsspiel umfasst 2.292 vierhebige Verse in Paarreimen. Die Gliederung des Spiels ist entgegen den mittelalterlichen Texten exakt mit fünf Akten zu je fünf bis sieben Szenen bezeichnet. In diesem Spiel vereinigen sich mehrere literarische Traditionen.
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Es ist für den heutigen Leser, die heutige Leserin von Passionsspielen kaum verständlich, welcher Judenhass aus den Texten spricht und welche „Judenfiguren“ dem Spielpublikum des 14. bis 17. Jahrhunderts auf der Bühne vorgestellt wurden. Sie sind in den meisten Spielen jene, die Jesus quälen, schlagen und ans Kreuz nageln. In dieser Tradition steht auch das Salzburger Passionsspiel „Christus patiens“ aus der Zeit um 1600, in dem der Teufel selbst als Jude verkleidet beim Verrat des Judas auftritt.
Es ist bekannt, dass die Menschen Jahrhunderte lang dazu neigten und vielleicht auch heute noch gelegentlich dazu neigen, im Nachhinein für schreckliche Ereignisse einen sogenannten „Sündenbock“ zu suchen. Die Schuld am Tod Jesu wird also einerseits auf das ganze Volk Israel, andererseits auf den Verräter Judas konzentriert – als ob die Besatzungsmacht der Römer den Rabbi Jesus nicht alleine finden hätte können.
Nach den zahlreichen Christenverfolgungen bis Diokletian um 300 erhob Kaiser Konstantin (306–337) das Christentum zur Staatsreligion und legitimierte die Verfolgung von Heiden und Juden. Erst die judenfreundliche Politik von Kaiser Karl dem Großen (800–814) änderte dies. Der Judenhass steigerte sich jedoch im 14. Jahrhundert. So wurde seit den ersten Jahrhunderten n. Chr. durch das gesamte Mittelalter jener Boden bereitet, auf dem dann in der Neuzeit und vor allem im 20. Jahrhundert die Judenvernichtungen aufbauen konnten.
Ostern ist das „Fest aller Feste“ titulierte bereits Papst Leo der Große (440–461), denn es vereinigt alle Geheimnisse der christlichen Heilslehre – die Überwindung des Todes und das Eingehen in ein ewig währendes glückliches Leben nach dem kurzen und mühseligen irdischen Dasein. Ostern bildet demzufolge den Höhepunkt des Jahres, dem der festlichste Glanz der kirchlichen Liturgie, die freudigsten Lieder, die verheißungsvollsten Worte vorbehalten sind. Vielgestaltig sind daher die Zeichen und Bilder, Worte und Wirkungen, die den Sinn von Ostern für den Christen ausdrücken sollen.
Alle kirchlichen Feiern der österlichen Zeit wurzeln in den Berichten des Neuen Testamentes. Was dieses jedoch als Auferstehung bezeichnet, wird in keinem der Evangelien als Vorgang erzählt. Es wird als Ereignis vorausgesagt bzw. als bereits vollzogen verkündet, jedoch selbst nicht beschrieben. Umso verständlicher also, dass auf Szenen rund um dieses Geschehen besonderer Bedacht gelegt wurde. Schon in den dramatisch gestalteten Osterfeiern und -spielen des Mittelalters bilden Rahmenszenen, wie etwa der Grabbesuch von zwei oder drei Frauen, denen Engel den Verbleib des Gekreuzigten mitteilen, oder der Wettlauf der Apostel Johannes und Petrus zum leeren Grab, den Kern der Handlung. Als Ort der Handlung ist das Heilige Grab vorgegeben, das in seiner plastischen wie architektonischen Nachvollziehbarkeit einen durchaus realen Bezugspunkt der österlichen Liturgie zur Vorstellungskraft des Gläubigen herzustellen vermag.
Seit der Entdeckung des Heiligen Grabes in Jerusalem im 4. Jahrhundert durch Helena, die Mutter Konstantins, war es als ein Ort, der für kurze Zeit den Leib des Herrn barg – vor allem aber als der Ort seiner Auferstehung – zu einer Stätte magischer Anziehungskraft für die Christenheit geworden. Seine Verehrung erreichte zur Zeit der Kreuzzüge ihren Höhepunkt.
Sehnlichster Wunsch der Pilger war es zunächst, auch in ihrer Heimat einen Bau nach dem Vorbild der Gedächtniskirche, wie sie Kaiser Konstantin seit etwa 326 über der „heilbringenden Höhle“ hatte erbauen lassen, um das Grab Christi „für alle sichtbar zu machen“ (Eusebios, Vita Constantini III, 29, 25), zu errichten. Wie beispielsweise die Michaelskapelle vor dem Eingang zur Propstei Neustift bei Brixen entstanden mindestens seit dem 9. Jahrhundert im ganzen christlichen Abendland neben den Hauptkirchen derartige Rundkapellen nach dem Vorbild in Jerusalem. Sie dienten nicht nur als Gedächtnisstätten, an denen man sich der göttlichen Gnade besonders nahe fühlte, fast wie im Vorraum des himmlischen Paradieses, sondern sie wurden als Schauplatz vielfach auch in die dramatischen Handlungen der Osterspiele eingebunden.
Der Ursprung dieser Form der „In-Bild-Setzung“ der Karwochenliturgie – wie sie uns in den Osterspielen vor Augen geführt wird – ist, nach Walther Lipphardt[68] nicht in einem heiligen Spiel der Kleriker vor Gott zu suchen. Vielmehr haben sie sich aus dem Bedürfnis entwickelt, der christlichen Verkündigung bei Gemeinden zu dienen, die der lateinischen Kirchensprache noch nicht mächtig waren.
Im Laufe der Jahrhunderte vollzog sich eine Wandlung weg von der Nachahmung der Heilig-Grab-Kirche in Jerusalem als architektonische Ganzheit hin zu einer Betonung auf den eigentlichen Gegenstand der Verehrung, auf das Heilige Grab selbst. Ab dem 16. Jahrhundert mehren sich die Hinweise über eigens für die letzten Kartage aufgestellte Heilige Gräber in den Kirchen. Im Salzburger Dom war bereits von 1545 an in der Karwoche beim Heiligen Grab das Sanctissimum ausgesetzt, was in den Landkirchen des Erzbistums bald Nachahmung gefunden zu haben scheint, wie Aufzeichnungen – vor allem aus dem Tiroler Anteil, wo die Nachforschungen in dieser Hinsicht bereits weit gediehen sind[69] – belegen.
Für das 17. Jahrhundert ist unter anderem aus den vorbereiteten Meldebogen für die Generalvisitationen der Jahre 1658 bis 1672 zu entnehmen, dass in bedeutenderen Pfarrkirchen der Salzburger Erzdiözese Heilige Gräber bestanden. In den Kirchenrechnungen und Akten der Dekanatspfarrkirche zu Stuhlfelden ist 1642 von einem Maler Adam Burghart die Rede, der 60 fl erhält, „weil er ein Grab, so in der Marterwoche auch gleichfalls zu der hl. Weihnacht in der Kirchen zu gebrauchen gemalen“ hat und Michl Moshammer, Tischler zu Stuhlfelden, wird für „das Grab und Krippl“ mit 47 fl entlohnt.
Insbesondere unter dem Einfluss des Jesuitenordens und dessen Bestreben, auch den Ungebildeten die Glaubenswahrheiten in verständlicher und sinnfälliger Weise vor Augen zu führen, hatten Karwochen-Heiliggräber weite Verbreitung gefunden. Sie sollten Mahnmal sein und – wie es in einem Ansuchen des Vikars von Scheffau um Bewilligung zur Anschaffung eines Heiligen Grabes an das Ordinariat zu Salzburg aus dem Jahre 1751 heißt, dazu dienen, um in den letzten Tagen der Karwoche, „eine noch mehr zur Andacht antreibende öffentliche Anbetung einführen und das schmerzhaftigste Leiden des göttlichen Sohnes dem Volke mehr ins Gedächtnis bringen zu können“[70]. Den Beschreibungen zufolge dürfte die zur Ausführung gelangte barocke Grabanlage genannten Vorstellungen voll und ganz gerecht geworden sein, handelte es sich doch um eines jener kolossalen Grab-Gerüste des 18. Jahrhunderts, die in Form theatralisch gemalter Scheinarchitekturbühnen die Seitenkapellen in immer noch großartigerer und pompöserer Weise auszufüllen pflegten.
Wie bescheiden nehmen sich dagegen jene Heiligen Gräber aus, die man in der Karwoche heute in den Landkirchen Salzburgs vorfindet. Bereits durch das von Kaiser Joseph II. 1782/83 ausgesprochene Verbot in ihrer Anzahl beträchtlich dezimiert, trug schließlich auch die Erneuerung der Karwochenliturgie 1955 zum weiteren Niedergang der Heiligen-Grab-Aufbauten als Mittelpunkt des österlichen Geschehens bei. Ist die Ausstattung solcher Gräber auch unvergleichlich einfacher zu Größe und Prunk einstiger Schöpfungen, so vermögen sie aufgrund ihrer Leib- und Bildhaftigkeit, genauso wie im Falle der Weihnachtskrippen, dennoch ihre Wirkung auf den Beschauer nach wie vor nicht zu verfehlen.
Wir finden das Heilige Grab auf einem der Seitenaltäre oder in einer seitlichen Nische des Kirchenschiffes, wo es in der Regel am Karfreitag errichtet wird. Handelt es sich um einen wandelfähigen Aufbau, so zeigt es bereits am Gründonnerstag die Szene des betenden Christus am Ölberg (etwa in Form eines Ölgemäldes), das am folgenden Tag durch eine Tafel mit der Darstellung des ins Grab gelegten Christus ausgewechselt wird. Meist sind es jedoch räumlich nachgebildete Rundbogennischen, welche die Christusfigur, entweder in geschnitzter Ausführung oder auf ein Brett gemalt, beherbergen.
Die stets reiche Ausschmückung des Heiligen Grabes mit Blumen ist sicherlich im Zusammenhang mit jener Stelle im Neuen Testament zu sehen, in der es heißt, dass Christus nach seiner Auferstehung in einem Garten Maria Magdalena als Gärtner erschienen war. Zur Zeit der imposanten Grabaufbauten im 18. Jahrhundert war dies für den erfindungsreichen Pfarrmesner der St. Jakobs Pfarrkirche in Innsbruck Anlass, das ganze Presbyterium in einen Garten zu verwandeln und diesen mit „an die 50 Limoni- und Orangenbäumchen, blühenden Veigelstöcken, Rosmarinsträuchern und Zypressen, die er dem Hofgarten wie den Glashäusern vermögender Bewohner entlehnt hatte“ zu schmücken; die Krönung bildete ein in der Mitte angelegter Springbrunnen, „dessen Strahl bis über die Höhe der seitlichen Oratorien stieg“[71].
In den älteren und in ihren Ausmaßen etwas größeren Grabaufbauten heutiger Zeit fehlen die beiden Grabwächter an den Seiten der Grabnische nicht. Meist in Form bemalter Kulissen-Versatzstücke stellen sie eine jener wichtigen Nebenszenen rund um die Auferstehung dar. Matthäus lässt in seinem Bericht die jüdischen Priester eine Grabwache bereitstellen, damit nicht die Jünger den Leichnam stehlen und danach behaupten, Jesus sei auferstanden, wie er prophezeit habe.[72]
In einigen Gemeinden des Landes Salzburg treten an die Stelle der Kulissen-Versatzstücke tatsächliche Grabwächter. So am Dürrnberg oder auch in Oberndorf, wo die Schützen der Oberndorfer Schiffergarde Grabwache halten. In Bischofshofen verrichten die Schützen der Bischofshofener Bauernschützen am Karsamstag diesen Dienst. Die Wache beginnt um 8.30 Uhr und endet um 16.00 Uhr. Drei Partien, dreimal zwei Mann, wechseln sich alle halbe Stunde ab. Die Wachablöse wird vom Wachkommandanten befehligt: Er schreitet den beiden Schützen mit geschulterten Gewehren voraus in die Kirche zum Seitenaltar, wo die beiden Schützen mit Gewehr bei Fuß und aufgesteckten Bajonetten Wache halten. Das Wachlokal war früher in der Kirche eingerichtet, jetzt befindet es sich im Pfarrhof. Schon längst ist es Brauch geworden, dass die Leute vorbeischauen und „a Jaus’n, a Geld bringen“.
Der Mesner der Stiftskirche St. Peter in Salzburg, Fr. Gerhard Hofinger, kümmert sich um den Aufbau des Heiligen Grabes in der Karwoche, das in einer Seitenkapelle aufgerichtet wird. Innerhalb von zwei Tagen ist alles an seinem Platz: die geschnitzten Engel, hunderte von Glaskugeln mit gefärbtem Wasser, dahinter die Kerzen, die Grabwächter, die Evangelisten, der Kreuzweg und in der Mitte der tote Heiland in der Grabesnische.
In Kuchl hat man den Heilig-Grab-Brauch nie unterbrochen. Mesner Sepp Wimmer: „Nicht einmal während des Nationalsozialismus, wo es nicht gern gesehen wurde, hat mein Vater damit aufgehört. Er war 51, ich 50 Jahre lang Mesner in Kuchl. Für uns Kinder war der Grab-Aufbau der Höhepunkt der Marterwoche. Drei Tage hat die Arbeit gedauert. Wir durften bei der Mutter in der Küche die Kugeln mit dem bunten Wasser füllen.“
Auf Initiative von Michael Neureiter im Jahre 2000 wurde mit der Wiederbelebung des Heilig-Grab-Brauches im Tennengau begonnen, wo inzwischen in jeder der 14 Pfarrkirchen wieder ein Heiliges Grab aufgestellt wird.
Neben all dem künstlerisch-schöpferischen Variantenreichtum in der szenischen Aufbereitung des karfreitäglichen Geschehens beziehen die Heiligen Gräber – einst genauso wie heute – letztendlich ihre Ausstrahlung und alles andere übertreffende Anziehungskraft durch einen Beleuchtungseffekt ganz besonderer Art. Rund um das Heilige Grab angeordnete bunte, mit gefärbtem Wasser gefüllte und von hinten, einst mittels Öllämpchen oder Wachskerzen, später elektrisch beleuchtete Glaskugeln sind es, die jene Stätte in einen mystischen Schein tauchen, der umso wirkungsvoller gewesen sein muss zu einer Zeit, in der es noch üblich war, sämtliche Fenster des Kirchenraumes mit Tüchern zu verhängen und dieser in völlige Dunkelheit getaucht war. Die Gestalt des Herrn war dadurch gleichsam schwebend emporgehoben in einen Raum aus leuchtenden Kugeln, gefüllt mit überirdischem Leben.
Jene Faszination des Heiligen Grabes, jenes seit Generationen überlieferte Bedürfnis nach dem „Heilig-Grab-Schauen“ in den Tagen der Karwoche, das uns heute wieder zu erfassen scheint und uns auf den Dachböden der Kirchen in verstärktem Maße nach Heilig-Grab-Aufbauten suchen lässt: Hängt es nicht auch mit diesen leuchtenden Kugeln zusammen? „Man sieht sie wieder, die gläsernen Weltkugeln, geboren aus Feuer und Visionen. Ursymbole, Botschaftsbringer von Auferstehung aus Nacht und Finsternis. Auferstanden durch die allgegenwärtige Sehnsucht nach Sinn und Unversehrtheit. Eine Kugel, gleich dem Rad, als Allegorie des Unendlichen, des Unvergänglichen, des Unaufhörlichen. Nun leuchtet sie wieder in der Kernkraft der Sonne, inmitten einer Welt voller Wunder und Wahnsinn, voller Trubel und Träume.“ (Wilhelm Albert Liebl)
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Im Jahre 1852 hatte Marie Schultze, eine vertraute Freundin der Königin Marie, berichtet, dass Kronprinz Ludwig schon als Kind gerne ein Heiliges Grab aufrichtete, obwohl die Errichtung schon sieben Jahrzehnte zuvor gleichsam „von Staats wegen“ verboten worden war. Bereits am 14. Mai des Jahres 1782 nämlich hatte im benachbarten Österreich der „Kirchenfeger“ Kaiser Joseph II. die Aufstellung von Heiligen Gräbern in der Karwoche untersagt.
„In Wahrheit wird von unseren Katholiken keine andere Andacht so sehr geliebt und geschätzt wie das Heiliggrab“, schrieb der Münchner Stadtpfarrer Kagerer am Ende des 19. Jahrhunderts. Der bis zur Erneuerung der Karfreitags- und Osternachtsliturgie 1955 weithin gepflegte Brauch, das Heilige Grab in der Karwoche aufzustellen, erfreut sich seit einigen Jahren wieder steigender Beliebtheit. Der Autor zeigt in den folgenden Kapiteln, weitgehend an Beispielen aus dem oberbayerischen Raum, wie sich das Ostergrab vom „Nachbau“ der Jerusalemer Heiliggrabkapelle bis hin zur grandiosen Kulissen-„Maschinerie“ des Barocks entwickelt hat.
Der Prototyp aller Heiliggräber steht in der Grabeskirche zu Jerusalem nahe an den realen Spuren Jesu. Kaiser Konstantin ließ um 326 den ersten Bau eines „sepulcrum sanctum“ in der Heiligen Stadt errichten. Seit frühchristlicher Zeit war der Heiliggrab-Bezirk der am meisten verehrte Ort der Christenheit. Die Wallfahrer ließen sich trotz schlechter Verkehrsbedingungen nicht von einer Reise zu den christlichen Stätten abhalten.
Von Jerusalem ausgehend breitete sich die Heiliggrab-Verehrung über das gesamte christliche Europa aus, den Höhepunkt erreichte sie zur Zeit der Kreuzzüge. Das von Papst Urban II. (1088–1099) genannte Ziel lautete, das Heilige Grab als das zentrale Heiligtum der Christenheit und als Mittelpunkt der Welt schlechthin aus den Händen der „Ungläubigen“ zu befreien. Dennoch wurde Jerusalem nie wieder eine christliche Stadt, das Kreuzzug-Unternehmen musste 1187 nach annähernd 92 Jahren Kampf endgültig aufgegeben werden.
Als ein Ergebnis der Wallfahrt nach Jerusalem und der besonderen Verehrung für die dortige Grabstätte entstanden im Abendland zahlreiche Nachahmungen als Abbilder der Rundkirche in Jerusalem (beispielsweise um 1160 in Eichstätt; am Eichstätter Grab lässt sich am deutlichsten der bauliche Zustand des Heiligen Grabes in Jerusalem im 12. Jahrhundert nachvollziehen). Auch Grabkapellen und -kirchen wurden gebaut, aus denen sich im 12. und 13. Jahrhundert Friedhofskapellen oder Karner (Beinhäuser) entwickelten. Von etwa 800 bis um 1900 sind in Deutschland ungefähr 50 Nachbildungen erbaut worden. Meist dienten diese frühen Grabkapellen als Aufbewahrungsort der aus dem Heiligen Land mitgebrachten Reliquien (Wasser aus dem Jordan, Öl von den Ampeln der Grabeskirche, Erde oder getrocknete Pflanzen von den biblischen Stätten). Daneben waren sie auch Wallfahrtsziel für jene, die sich eine Reise nach Jerusalem nicht leisten konnten.
In der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts kam das Heiliggrab mit Figuren des Leichnams Christi, der schlafenden Wächter und der frommen Frauen auf. Ein sehr gut erhaltenes Beispiel von ca. 1335 befindet sich im Freiburger Münster; eine Vertiefung in der Brust Christi diente der Aufnahme der Hostie am Gründonnerstag. Das mittelalterliche Depositionsgrab, eine sogenannte Ostergrabtruhe, mit geschnitzter Christusfigur war wesentlicher Bestandteil der liturgisch-dramatischen Handlung vom Begräbnis und der Auferstehung Christi. Bei der Niederlegung des Kreuzes am Karfreitag wurde anfänglich als Symbol für den Leichnam ein verhülltes Kreuz in Prozession zum Grab getragen und darin „deponiert“. Spätestens ab dem 14. Jahrhundert wurde das Kreuz durch einen plastischen Leichnam oder ein Kruzifix mit schwenkbaren Armen ersetzt. Nach der Abnahme wurde es in das Leichentuch gehüllt beigesetzt.
Bis zur Aufstellung des Kreuzes bzw. der Entfernung des Grabbildes in der Osternacht blieb das Symbol für den Leichnam Christi unter der Bewachung durch betende Kleriker oder Laien im Grabe. Bei dessen Erhebung und Entfernung kam es oftmals zum Austausch mit der Figur des Auferstandenen. Daraufhin folgte das Osterspiel, welches den Besuch der Marien am Grabe zum Inhalt hatte. Der eigentliche Vorgang der Auferstehung kam erst gemeinsam mit dem Wächterspiel und der Darstellung der Höllenfahrt Christi in das Osterspiel.
Der „Aufführungsort“ war (noch) die Kirche, wobei sich allmählich ein Wandel vom Altar- hin zum Chorbereich vollzog. In Deutschland stand das Ostergrab in aller Regel im Kirchenschiff. In Kirchen, die einen Lettner (Chorschranke, die den Altarbereich vom Kirchenschiff trennt) hatten, fand geistliches Spiel auf unterschiedlichen Ebenen statt: Höllenszenen in der Krypta, Gottvater und die Engel erhöht, irdische Szenen am Fuße des Lettners.
Als das Konzil von Trient[73] am 4. Dezember 1563 nach 16 Jahren zu Ende ging, war zwar die Wiederherstellung der Glaubenseinheit nicht erreicht worden, aber es war die Basis geschaffen, auf welcher die katholische Kirche in den folgenden Jahrhunderten aufbauen konnte. Vor allem Ignatius von Loyola und seine „Societas Jesu“ (SJ) – die Jesuiten, verkörperten und popularisierten (verbreiteten) den „Geist“ von Trient. Sie kannten kein Chorgebet, lehnten das „Bettelprinzip“ ab, lebten nicht in Klöstern und trugen meist weltliche Priestertracht. Das machte sie weltoffen und beweglich. Vor allem auf wissenschaftlichen und künstlerischen Gebieten waren sie als geistliche und geistige Elite maßgeblich vertreten.
Im Bereich des geistlichen Schauspiels zog das Jesuitendrama alle Register der theatralischen Darstellung, um die Zuschauer – neben der Predigt – zu Buße und Umkehr zu bewegen. Die Vermittlung der Glaubensinhalte drängte zu eindringlicher Verbildlichung mit illusionistischen Techniken, etwa in den Andachtsaufbauten der Kirchen und in den Theaterinszenierungen.
Die Zentren des Jesuitentheaters waren vor allem München und Wien, doch auch „in Innsbruck, Graz, Prag stellten die Jesuiten ihre Glaubensbühne“[74] in den Dienst der dort regierenden Herzöge und Kaiser.
Nach dem Konzil von Trient sind – überwiegend im katholischen Alpenraum – erneut unzählige Kreuze, Kreuzwegstationen und Heilige Gräber entstanden, die von Pilgern nicht selten als Dank für ihre glücklich verlaufene Reise ins Heilige Land errichtet wurden. Um diese bildeten sich bald eigene Riten, in denen die Gläubigen mit Prozessionen und Wechselgesängen des Leidens und Sterbens Christi gedachten. Der im 13. Jahrhundert durch Franziskaner und Dominikaner geförderte Einbezug des Volkes in die Liturgie schuf später neue Formen der Karfreitagsfeiern und Heiliggrab-Darstellungen.
In der Volksfrömmigkeit ist nicht nur die realistische Darstellung, sondern auch die Botschaft von Bedeutung. Schon der Münchner Hofprediger Johann Jakob Rabus, der 1575 nach Rom gepilgert war, beschrieb das Heilige Grab in der Jesuitenkirche Santa Maria della Strada als eine symbolische Darstellung des Triumphes Christi: „[...] oben in der Höhe schwebten große Engel, von Papier und Farben dermaßen zugericht, daß einer hätte meinen mögen, sie lebten, die neigeten sich als dienstbare Geister gegen dem hochheiligen Sacrament; [...] inwendig mit kleinen Lichtlin umb und umb besteckt [...] das alles bewegt die Pilgram zu großer unaussprechlicher Freud und Anmut“.[75]
Im 15. Jahrhundert wurde es besonders im Habsburger Herrschaftsbereich üblich, im Kircheninneren ein „Castrum doloris“ (Trauergerüst) zu errichten, und zwar nicht nur für am Ort verstorbene (Kirchen-)Fürsten, sondern auch für Prälaten oder den Kaiser. Diese oft nur für kurze Zeit aufgestellte Trauerarchitektur bestand aus Holz, Pappe oder Leinwand. Regensburg etwa errichtete 1705 das rund 36 Meter (!) hohe Castrum doloris für den in Wien verstorbenen Kaiser Leopold I., dessen Stelle ein leerer Sarg einnahm.
Vor allem durch Kupferstiche wurde dieser Brauch in ganz Europa verbreitet, sodass es 17. Jahrhundert vom Norden Europas über Russland bis hin nach Spanien und Italien bekannt war. Die Trauergerüste waren in Form, Funktion und Inhalt vorbildlich für das barocke Expositionsgrab. Es waren in der Regel auch dieselben Künstler, die Entwürfe zur Konstruktion und Gestaltung schufen. Nicht selten kam es zu Überschneidungen, so verwendete der Innsbrucker Mesner Schennacher z. B. für sein Heiliges Grab in St. Jakob Teile eines ehemaligen Castrum doloris.
Die „heilige Woche“, im Deutschen meist „Karwoche“ (Trauerwoche)[76] genannt, beginnt am Palmsonntag und endet am Ostersonntag. Die Abendmesse am Gründonnerstag steht am Beginn des österlichen Triduums (Triduum Sacrum oder Triduum Paschale), das den Karfreitag, den Karsamstag sowie den Ostersonntag umfasst und das Leiden und Sterben, die Grabesruhe und die Auferstehung Christi feiert.
Der Gründonnerstag ist der erste Tag der Karwoche, der hinsichtlich des Heiligen Grabes liturgisch gesehen von größerer Bedeutung ist. Eine Besonderheit am Gründonnerstag („greinen“ = weinen) ist das Glockengeläute zum Gloria,[77] da dem Volksglauben nach die Glocke „als beseeltes Wesen, das mit ihm fühlt und ihn von der Wiege bis zum Grab begleitet, von selber läutet oder schweigt, sich bewegt“[78] und eben am Gründonnerstag „nach Rom fliegt“.
Am Karfreitag erreicht die „heilige Woche“ ihren Höhepunkt. Der Gottesdienst dieses strengsten Fasttages im gesamten Kirchenjahr bestand aus drei Teilen: zum Ersten aus Lesungen, zweitens aus der Kreuzverehrung und dem „Dreimal-Heilig“, schließlich aus der „missa praesanctificatorum“ (Messe der vorgeheiligten Gaben) und der darauf folgenden Übertragung des Allerheiligsten in das Heilige Grab.
Am Abend des Karsamstags oder in der Nacht zum Ostersonntag fand die im römischen Ritus ungebräuchliche Auferstehungsfeier statt. Sie bestand seit dem Mittelalter aus zwei Akten. Erstens aus der Prozession zur Verherrlichung der Auferstehung des Herrn und zum Zweiten aus dem Mysterienspiel. Hier wurde der Besuch der Frauen am Grabe dargestellt. Im leeren Grabe lagen nun das Grabtuch und die Kleider.
Vor dem Heiligen Grab der Höglwörther Klosterkirche (Filialkirche „St. Peter und Paul“ in Höglwörth und der ehemaligen Klosterkirche) fand bis zur Liturgiereform am Abend des Gründonnerstags (um 19 Uhr) eine Ölbergandacht mit den „drei Fällen Christi“ statt. Am Karfreitag zu Mittag wurde das Grab geöffnet, am Abend erfolgte eine feierliche Kreuzwegandacht (mit Chor). Am Karsamstag um 16 Uhr begann die Auferstehungsfeier mit einer Kirchenprozession (mit „Gott tragender Musik“).
Berühmt für seine Auferstehungsfeier war das Heilige Grab in Aschau. Hier waren zwei lebendige Wächter zu sehen, „zwei echte, leibhaftige Chiemgau-Jungmänner“, wie Otto Heichele 1935 berichtete. „Nach Art römischer Soldaten gekleidet, mit Helm und Lanze bewehrt, einen strammen Schnurrbart angeschminkt, stehen sie zu bestimmten Stunden an beiden Seiten des grabliegenden Heilandes. Damit aber kein Zweifel an der Echtheit der Wächter aufkommt, neigen sie alle paar Minuten ihre Lanzen zusammen und rollen ihre kriegerischen Augen.“[79]
Das Heiliggrab von Aschau im Chiemgau (in der Pfarrkirche „Zur Darstellung des Herrn“) – ein mächtiger theatralischer Kulissenaufbau von drei Flügeln in drei Geschoßen (zehn Meter hoch, sieben Meter breit, sechs Meter tief), 1797/99 von Sebastian Rechenauer d. Ä., Maler in Unterflintsbach, und Sebastian Furtner, Kistler (Schreiner) in Hohenaschau, „nach römischem Vorbild“ geschaffen, zuletzt 1892 renoviert – besaß nahezu 150 Kugeln und vor dem Leichnam Christi leuchteten fünf kraftvoll rote, die an seine Wunden erinnern sollten. Die Lichtfülle des barocken Ostergrabes erinnert stark an das, immer wieder von Heilig-Land-Pilgern beschriebene „[...] hochheilige, durch die Kraft Gottes entzündete Licht am Hl. Grabe zu Jerusalem [...]“[80] Das Aschauer Heilige Grab war weit berühmt und gehörte zu den umfangreichsten und bedeutendsten „Maschinen“ dieser Art in Bayern. Leider wird es seit Einführung der neuen Osterliturgie nicht mehr aufgebaut.
Einige Jahrzehnte jünger ist das 1786 entstandene „Theatrum sacrum“ der Mariä-Schutz-Kirche (heute Friedhofskirche) in Fischbachau im Landkreis Miesbach – vom Kistler Caspar Auracher aus Stauden und dem Meier Johann Baptist aus Aibling geschaffen. Das untere Geschoß des Heiligen Grabes enthält die eigentliche Grabesnische, im oberen befindet sich die Kulissenbühne mit der Aussetzungsnische. Die „himmlische Etage“ enthält die Inschrift „Ihr Himmel der Himmeln preiset den Herrn“. Am Heiligen Grab in Fischbach ist gut zu erkennen, dass ein Heiliges Grab – aus liturgischer Sicht – die Verbindung zwischen dem Kreuzestod Jesu und seiner Auferstehung herzustellen hatte.
Der Habsburger Kaiser Joseph II. (1765–1790) übte mit Nachdruck das oberste Aufsichtsrecht über die kirchliche Verwaltung in seinen Ländern aus und beeinflusste damit unter anderem auch das Schicksal der Heiligen Gräber. In der am Ostersonntag, dem 20. April 1783, eingeführten Gottesdienstordnung für Wien wird die Karwoche nach römischem Ritus vorgeschrieben, das bedeutet: Verbot des Heiligen Grabes und der Auferstehungsfeier, Anpassung der Schlussfeier des Vierzigstündigen Gebetes an den Ablauf der üblichen Nachmittagsandachten.
In besagter Hofentschließung wird bestimmt, dass „aller übermäßige, dem Geiste der Kirche nicht angemessene Aufputz, Prunk und Beleuchtung in den Kirchen sowohl als Kapellen um so mehr abgeschafft werden, als in Absicht auf dergleichen meistens an hilzenen Gerüsten und aus Leinwand bestehenden Vorstellungen angebrachten Beleuchtungen nicht selten Feuersgefahr mit unterläufet und außerdem dergleichen zur Dämmerungszeit abzuhalten gepflogene Andachten dahin ausgeartet sind, daß solche mehr aus Gewohnheit und der Unterhaltung oder Ausschweifung als Andacht wegen besuchet werden.“[81]
Durch die Anordnung Joseph II. war die öffentliche Verehrung des Sanktissimums (der geweihten Hostie) erschwert bzw. unmöglich gemacht worden, da dessen Anbetung im verschlossenen Tabernakel auf den Gründonnerstag allein beschränkt wurde, während am Karfreitag und -samstag lediglich das ewige Licht am Altar brennen durfte.
Die Beleuchtung der Heiligen Gräber, die einen unverzichtbaren Bestandteil dieser darstellt, bestand zum großen Teil aus gläsernen Kugeln verschiedener Größe und unterschiedlicher Struktur (glatt oder gerippt). Diese waren entweder mit farbiger Flüssigkeit gefüllt oder bestanden aus gefärbtem Glas. Die Beleuchtung erfolgte in der Regel von hinten mithilfe diverser Brennstoffe, wobei vor allem Fett, Schmalz oder Öl verwendet wurde. Die Frage nach der Herkunft der sogenannten „Schusterkugel“ ist anhand einer Abhandlung (1540) von Sebastiano Serlio zu beantworten. Man findet darin Informationen über das Bühnenwesen, wo Beleuchtungskörper dieser Art genau beschrieben werden.
Die Mischung der Farben für die Glaskugeln war oft kompliziert und aufwendig, die einzelnen Mischverhältnisse und Ingredienzien waren nur wenigen (meist den Mesnern) bekannt und wurden von Generation zu Generation weitervererbt. Eine rote Farbe konnte mit Lackmus gewonnen werden, ein Gelbton durch das Aufkochen von Zucker in einer Messing- oder Kupferkanne sowie durch Safran. Blaue und grüne Töne wurden mit Grünspan, Salmiak, Pottasche, Weinstein oder Alaun hergestellt. An manchen Orten war es auch üblich, als Füllung Rotwein, Weißwein oder Most zu verwenden. Die Kugeln wurden meist auf runde Metallringe, an denen oft auch die Öllämpchen befestigt waren, gestellt und so von hinten beleuchtet.
An manchen Heiliggräbern wurden – neben der Benutzung von „Schusterkugeln“ – besondere Lichteffekte durch mit Glaskristallsteinen oder -perlen besetzte Strahlenkränze erreicht. In Aschau z. B. gab es einen Strahlenkranz aus 325 Glaskristallsteinen. In Höglwörth ist im Zentrum der Anlage ein aus Glasperlen gebildetes, drehbares Sonnenrad montiert, das durch ein Uhrwerk betrieben wird. Aufgrund des Verbotes der Heiligen Gräber im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts haben die Augustiner ihr „Theatrum sacrum“ nicht mehr aufgebaut, und Georg Hunklinger vermutet, dass „es aus den Abstellräumen für ein paar Jahrzehnte nicht mehr hervorgeholt wurde, bis um 1830/40 sich neues religiöses Leben allenthalben anbahnte und speziell in Anger Bürgerschaft und Geistlichkeit, angeregt durch die 1836 vollzogene Neuorganisation der Pfarrei durch König Ludwig I., sich zu frischer Aktivität zusammenfanden“.[82]
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die gewaltige Bühne in Höglwörth erneuert und auch ein Uhrwerk für das große Sonnenrad eingerichtet, das sich in einem Wolkenprospekt langsam dreht. Außerdem wurden neue Mechanismen für den Springbrunnen und die beweglichen Figuren erdacht. Das Höglwörther Heiliggrab füllt das gesamte Presbyterium der Klosterkirche aus – fünf Meter in die Breite, sechs Meter in die Tiefe. Davor ist ein Garten mit dem Springbrunnen angelegt, ein Hinweis auf die Bibelstelle „Er wurde im Garten seines Hauses begraben“ aus dem zweiten Buch der Könige (2 Kön 21,18). Die Vorderfront bildet ein Triumphbogen, der von einem Kreuz überhöht wird. An den Prospekt schließen sich vier theaterkulissenartige, rundum Lichter und farbige Glaskugeln tragende Bögen an. Den hinteren Abschluss der Bühne bildet das Grab, in dem das Bildnis des heiligen Leichnams ruht.
Am 10. März 1803 war in Bayern eine Verordnung bezüglich der Heiligen Gräber erlassen worden, der zufolge die farbigen Glaskugeln, alle Statuen, Wasserkünste und andere vermeintliche Verzierungen eine Entwürdigung der Kirche bedeuteten und daher verboten wurden.
Als Tirol 1805 unter bayerische Herrschaft kam, wurden dort neuerliche Verbote gegen die Heiligen Gräber ausgesprochen, doch nach der Vereinigung Österreichs mit Tirol (1814) stand auch in Bayern der Wiederbelebung der Heiligen Gräber und der damit verbundenen kirchlichen Zeremonien und Bräuche nichts mehr im Wege.
Vielfach entstanden neue Heilige Gräber – meist Kulissen mit Scheinarchitekturen und in starker Vereinfachung. Dennoch zeichnen sich viele Heiliggräber des 19. Jahrhunderts durch Formvielfalt, Dekoration und fantasievolle Details aus (z. B. Ausbauten mit rein pflanzlichen Motiven, Lebensbaum-Symbolik oder orientalischen Landschaften). Die Heiliggrab-Kunst der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von Nazarener, Neoromanik und Neogotik bestimmt.
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„Wenn du mit deinem Mund bekennst: ‚Jesus ist der Herr‘ und in deinem Herzen glaubst: ‚Gott hat ihn von den Toten auferweckt‘, so wirst du gerettet werden“ (Röm 10,9). In dieser Kurzformel des Glaubens ist die Botschaft des Christentums klar begründet: dass alle widergöttlichen Mächte, auch die Gewalt des Todes, entmachtet sind und Jesus lebt.
Der erhöhte Herr – er geht durch Raum und Zeit, wie es ihm beliebt. Er erscheint Einzelnen und dann wieder ganzen Gruppen. Der deutsche Bibelerklärer und Theologe Alfred Wikenhauer (1883–1960) hat dies einmal treffend formuliert: „Der für mich am Kreuz gestorben ist, lebt jetzt als Auferstandener in mir.“ Dies ist die Kernbotschaft des christlichen Glaubens für alle Jahrhunderte. Es gibt keine andere Weltanschauung, die in einer so radikalen Form den Kampf mit dem Tod aufgenommen hätte.
Die großartige Bildgeschichte der Auferstehung Christi erstreckte sich im westlichen Abendland über mehr als 1.000 Jahre. Diese ist jedoch im 20. Jahrhundert abgelaufen. Die Grauen der beiden Weltkriege und das um sich greifende Elend der Flüchtlinge sowie des Hungers haben zu tief empfundenen Darstellungen des leidenden Christus geführt. Über ein Bild der Auferstehung wagte man sich im herkömmlichen Sinne nicht mehr. Der Glaube an die Auferstehung und Erlösung Jesu Christi ist jedoch ungebrochen.
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„Ein fester Brauch ist das, was einen Tag vom anderen unterscheidet, eine Stunde von der anderen. Sonst wären alle Tage gleich“, erklärt der Fuchs dem kleinen Prinzen.[85] Vor allem rund um die kirchlichen Feste, die in wohltuender Weise den Alltag unterbrechen und dem Leben Struktur und Glanz geben, haben sich vielfältige und bunte Bräuche gebildet. Kirchliche Bräuche haben sich vor allem in der katholischen Kirche entwickelt. Im Jahresfestkreis, dem Kirchenjahr, sind alle Stationen des menschlichen Lebens und das ganze christliche Erlösungsangebot enthalten. Die Taufe als der Beginn des christlichen Lebensweges und die Osternacht als der liturgische Höhepunkt des Kirchenjahres nehmen im Leben eines jeden Christen einen wichtigen Platz ein.
Feste sind immer – im ursprünglichen Sinn des Wortes – sinnliche Feste. Bei jedem Fest gibt es etwas zu sehen, zu hören, zu riechen oder anzufassen. Besonders trifft dies auch auf die Taufe und die Feier der Osternacht zu: Das Licht der Tauf- und Osterkerze, das kunstvoll gearbeitete Taufkleid, der Klang des Exsultets (des großen Osterlobes), der Duft des Weihrauches werden mit den Sinnen wahrgenommen und sind eng mit beiden Festen verbunden.
Taufe und Osternacht sind Feste, die von einer Fülle von Symbolen geprägt werden. Die tiefere Bedeutung dieser Symbole ist oft nicht mehr gegenwärtig: Welche Bedeutung kommt dem Taufkleid zu? Seit wann werden Tauf- und Osterkerzen verwendet? Wie kommt das Feuer in die Osternacht? Wer bestimmt, wann Ostern gefeiert wird? Diese Fragen werden nun u. a. bearbeitet.
Zu den liturgischen Höhepunkten im Kirchenjahr zählen die Lichtfeier und der festliche Gesang des Exsultets, des großen Osterlobes. Der Ritus der Lichtfeier geht auf den Brauch zurück, Gott bei Einbruch der Dunkelheit für den Segen des Lichtes zu danken. Der Dank für das Licht findet sich auch in anderen Religionen und ist nicht auf das Christentum beschränkt.
Das Licht hat in der Liturgie vor allem symbolische Bedeutung. Im Prolog des Johannesevangeliums wird Jesus als das „wahre Licht, das in die Welt kommt, um die Menschen zu erleuchten“ (Joh 1,9), bezeichnet.
Aus dem Jahr 384 gibt es einen Beleg für den Gebrauch einer besonderen Osterkerze. Der Brauch, in die Osterkerze den ersten und den letzten Buchstaben des griechischen Alphabetes, das Alpha und das Omega, und die Jahreszahl einzuritzen, war in manchen Teilen Europas schon seit dem 7. Jahrhundert üblich. Heute bleibt die Osterkerze das ganze Jahr in der Kirche stehen und brennt bis zum Pfingstfest bei jedem Gottesdienst. Bei besonderen Gottesdiensten, z. B. bei Taufen oder Begräbnissen, wird sie auch während des Jahres als Symbol der Auferstehung wieder entzündet.
Gemeinsam mit Firmung und Eucharistie gehört die Taufe zu den Initiationssakramenten, die den Menschen in die Kirche eingliedern. Der Begriff „Initiation“ (Aufnahme in die Gemeinschaft) bezeichnet das Heilsgeschehen, das den einzelnen Menschen berührt und ihn mit der Praxis eines religiösen Lebens beginnen lässt.
Das Zeichen der Taufe besteht im Abwaschen mit Wasser und im Aussprechen des Namens des dreifaltigen Gottes über den Täufling: „Ich taufe dich im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“ Ursprünglich wurde die Taufe durch Untertauchen gespendet (als Akt des Sterbens, Begrabenwerdens und des Wiederauferstehens). Erst seit dem 15. Jahrhundert wurde das Untertauchen endgültig vom Übergießen abgelöst. Nach den heutigen Normen wird es als wünschenswert angesehen, wenn die Tauffeier in den ersten Wochen nach der Geburt stattfindet.
Eines der wichtigsten Symbole ist das Taufwasser – es reinigt symbolisch den Täufling von der Erbschuld und spendet neues Leben. Das weiße Taufkleid steht ebenso für Reinigung und Erneuerung. Feste Bestandteile der Tauffeier sind das Entzünden der Taufkerze und die Salbung des Täuflings (Chrisamsalbung – Symbol für die Erwählung durch Christus). Mit Verbreitung der Kindertaufe entwickelte sich auch der Brauch der Namensgebung. Eine besondere Rolle kommt bei der Taufe auch den Paten zu – sie begleiten den Täufling beim Empfangen des Sakramentes.
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Die Feldforschung wurde von Mag. Maria Katharina Aschaber mit Lehrerinnen und Lehrern der Hauptschule Abtenau und Volksschule Bischofshofen-Markt im Auftrag von Dr. Lucia Luidold in den Schuljahren 2002/03 durchgeführt. Anonym abgegebene, nicht verbesserte Aufsätze von Schülerinnen und Schülern zwischen acht und 15 Jahren bilden die Grundlage der Analyse des von den Kindern subjektiv Erlebten.
Die geistigen/geistlichen Inhalte, die traditionellen Festvorbereitungen und viele Bräuche des Osterfestkreises sind in den Regionen unterschiedlich erhalten. Nur den „Palmsonntag mit Palmesel“ und die Weihe der Palmbuschen (in Bischofshofen in der Lederhose) in der Kirche sowie das Suchen von Ostereiern finden sich überall. Das „Palmbuschengehen“ scheint vorwiegend wegen des Palmbuschengeldes nicht abgekommen zu sein. Ein lebendiges Wissen über die Osterbräuche in der Bevölkerung ist in den Schilderungen der Bischofshofener Volksschüler/innen zu sehen. Für viele Jugendliche gehören das Beten und ein Kirchgang zum Osterfest. Neu hinzu kommt, dass Haus und Wohnung für Ostern wieder geschmückt werden (besonders in Bischofshofen).
Aus den Aufsätzen der Schülerinnen und Schüler geht hervor, dass sich die Konturen der Feste bzw. Festinhalte von Weihnachten und Ostern – „den heiligen Zeiten“ – immer mehr verwischen; zwischen „Osternesterl suchen“ und „Weihnachtspackerl auspacken“ scheint kein Unterschied mehr zu bestehen. Zu Ostern wie zu Weihnachten sind das Zusammensein der Großfamilien, das Miteinander-gut-Essen und das Familiengespräch die Hauptgrundlage der Feste. Kann die Familie nicht an einem Ort (zu Hause, bei der Oma, notfalls im Gasthaus) gemeinsam feiern, werden viele Kilometer zurückgelegt, um alle Omas, Uromas, Goden (Paten), Tanten, Onkeln, Cousinen zu treffen, um die Osternesterl bzw. Packerl zu bekommen. Wichtig ist auch das Treffen von Freunden und Freundinnen. Mit wenigen Ausnahmen sind „die freien Tage“ – ob Ferien oder Urlaub – neben lang schlafen, gemeinsam gemütlich und lange frühstücken sowie das gemeinsame Spiel das Wichtigste an „coolen“ Ostern.
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Die Groß- und Urgroßelterngeneration aus dem Abtenauer Becken, Bischofshofen und Maria Alm erzählte ihre Kindheitserinnerungen an den Osterfestkreis. Enkel/innen und junge Forscher/innen haben sie aufgeschrieben. Beteiligt haben sich Lehrer/innen und Schüler/innen der Hauptschule Abtenau, Volksschule Bischofshofen-Markt und der Franz-Moßhammer-Hauptschule in Bischofshofen. Mag. Maria Katharina Aschaber hat die anonym abgegebenen, nicht verbesserten Aufsätze der Schüler/innen zwischen acht und 15 Jahren dokumentiert.
Jahreszeitlicher Kreislauf, alltäglicher Lebensrhythmus, Arbeit, Brauchtum, Spaß und Spott, Angst vor Unreim (Unglück, Pech), Hoffnung auf Segen, Religiosität und Aberglaube waren untrennbar verwoben – alles hatte seinen Platz und seine Ordnung. Die Fastenzeit wurde als Vorbereitung auf Tod und Auferstehung Christi sehr ernst genommen. Ab dem Aschermittwoch wurden Feste und Tanz vermieden; es wurde sehr viel gebetet, bescheiden gegessen, Alkohol und Süßes gemieden und auch viel mehr gearbeitet als sonst. Der Palmsonntag war wichtig für Erntesegen und wegen des Palmbuschengeldes. Je größer der Besitz des Bauern, desto höher, größer und schöner durften seine Palmbuschen (je einer für Haus, Stall und Feld) sein. Schon die Buben stritten um die Rangordnung, wer den größten Palmbuschen hatte. Wer trotz Rauferei einen Palmbuschen nach Hause rettete, bekam die Belohnung. Die Spottnamen für Langschläfer (an die sich auch die Alten nur mehr zum Teil erinnerten und die sehr mühsam zusammengetragen wurden) heiterten die „traurige Woche“, in der nach der strengen Fastenzeit noch mehr gebetet (Kirchgänge und „Gmeibeten“) und die Kost noch „schmäler“ (Brezensuppe, Brennsuppe) wurde, etwas auf.
Für die älteren Menschen waren Fastenzeit und Ostern, so geht es aus den Aufsätzen der Schüler/innen hervor, eine von Spannung getragene ereignisreiche Zeit, in der es Herrlichkeiten wie einige bunt gefärbte Ostereier, einen Schweinsbraten, den Gödenzopf und Belustigungen wie Tanzen und Eierpecken gab. „Schwer zu erwarten war für uns Kinder das Eierpecken mit den Ostereiern aus den Osternesterln, die wir von den Gödenleuten und den Eltern bekamen. Alle möglichen Tricks beim Halten bzw. beim Pecken [Zustoßen] der Eier wurden angewendet, ging es doch darum die Ostereier zu vermehren [...]. Die Auswahl der Ostereier, mit denen gepeckt wurde war eine große Entscheidung – es durfte nicht zu schön gestaltet sein, weil die behielt man sich noch zum Anschauen und Herzeigen, aber es mußte stark sein, sollte eine dicke Schale und keinen Sprung, auch nicht den feinsten Haarriß haben.“ Eine Auflockerung waren in der Karwoche (und an den Ostertagen) die Spottnamen für Langschläfer: „Palmesel“ (Palmsonntag); „Ontlasgoan“ (Gründonnerstag); „Karfreitagratschn“ (Karfreitag); „Taflappin“ (Karsamstag); „Osterpfladerling“, „Osterlampei“ (Ostersonntag); „Montagsstier“ (Ostermontag); „Nochinötter“ (Osterdienstag); „Hehnertrogauslecka“ (Mittwoch nach Ostern); „faule Osteroa“ (Weißer Sonntag, erster Sonntag nach Ostern).
Um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundert waren Bildpostkarten das beliebteste Medium zur Übermittlung von Grüßen, Wünschen und kurzen Mitteilungen. Ihre Blütezeit begann um 1890 und endete nach dem Ersten Weltkrieg. Heute noch greifen Verlage und Kunstanstalten auf den reichen Bilderschatz dieser Zeit zurück. Obwohl das Kartenschreiben im Verlauf des 20. Jahrhunderts durch die Verbreitung rascherer Verständigungsmittel an Bedeutung verloren hat, werden Bildpostkarten nach wie vor versandt, hauptsächlich mit Grüßen vom Urlaubsort oder mit guten Wünschen zu den großen Festtagen im Jahreskreis.
Die Motive der Osterkarten sind – ähnlich wie jene der Weihnachtskarten – wegen der Mehrschichtigkeit beider Feste besonders vielfältig: Sie stellen uns den christlichen Feiertag vor, eingebettet in eine bestimmte Jahreszeit, verbunden mit besonderen Gaben und deren geheimnisvollen Gabenbringern. In den nächsten Kapiteln werden die wichtigsten österlichen Motive an Bildpostkarten aus dem ersten Drittel des 20. Jahrhunderts vorgestellt und erklärt.
Im Deutschen und Englischen leitet sich das Wort „Ostern“/„Easter“ von der Himmelsrichtung ab, in der die Sonne aufgeht. Ein Zusammenhang mit einer vermuteten germanischen Frühlingsgöttin Ostara hat sich als wissenschaftlich unhaltbar erwiesen. In den romanischen Sprachen hängt der Name des Festes (z. B. „Pasqua, Pascua, Pâques“) noch mit dem jüdischen „Paschafest“ (auch Pessach, Passah oder Pesach) zusammen und weist damit auf seine Herkunft aus vorchristlicher Zeit hin. „Pascha“ („Übergang“) meint das Vorübergehen des Würgengels an den mit Opferblut bestrichenen Türen der Juden zur Zeit ihrer Gefangenschaft in Ägypten. Das Pessachfest wird vom ersten Vollmond im Frühling bestimmt (15. Nis(s)an); beim zeremoniellen Sedermahl nehmen die Gläubigen unter Lobgesängen und Gebeten ungesäuerte Brote, Lammfleisch, Wein und Bitterkraut zu sich.
Das christliche Fest knüpft an den letzten Sederabend an, den Jesus mit seinen Jüngern gefeiert hat.[86] Zum Gedächtnis an Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi, der als das „wahre Osterlamm“ verehrt wird, hat sich aus diesem „letzten Abendmahl“ die Feier der Eucharistie entwickelt. Das Messopfer ist mit dem Sonntag verbunden, da die Auferstehung Christi auf den Tag nach dem Sabbat fiel. Seit dem Konzil von Nizäa (325) wird Ostern am Sonntag nach dem ersten Vollmond im Frühling gefeiert, es ist also ein bewegliches Fest. Die Errechnung des jeweiligen Osterdatums zählte jahrhundertelang zu den wichtigsten Aufgaben der Kalendermacher. Für die Christen der Ost- und Westkirche gelten jedoch – bedingt durch die Abweichung des alten julianischen vom neueren gregorianischen Kalender – unterschiedliche Festtermine, weil die Ostkirche am alten Kalender festhält.
Ostern fällt als das erste große Fest im Frühling auf die Monate März oder April. Zu dieser Zeit ist die Natur in unseren Breiten nach dem langen Winter zu neuem Leben erwacht. Viele Osterkarten erfreuen den Betrachter daher mit Bildern von frischem Grün, Frühlingsblumen, jungen Tieren und von Kindern, die sich im Freien tummeln. Manche heimischen Pflanzen haben eine besondere Bedeutung in den Volksbräuchen erlangt; so sind blühende Veilchen schon im Mittelalter als Herolde des Frühlings begrüßt worden, Schlüsselblumen sollen den Himmel aufschließen, den Weidenkätzchen im Palmbuschen sagt man Heilkraft und Schutz vor Gefahren nach.
Bilder von Hühnerküken stellen die Verbindung zum Osterei her; die Lämmer auf der Wiese erinnern nicht nur an das Osterlamm, sondern lassen mit ihren schmucken Hirten und Hirtinnen noch einmal die Schäfermode der Barockzeit aufleben. Auf manchen Bildpostkarten kann man junge Leute bei alten, noch vorchristlichen Reinigungs- und Fruchtbarkeitsriten beobachten. Da werden zum Beispiel im Freien Osterfeuer entzündet, deren Flammen alles Übel vertreiben sollen, oder Burschen bespritzen die erwachsenen Mädchen mit Wasser und schlagen sie mit einer Lebensrute.
Auf den religiösen Osterkarten ist der leidende, sterbende, tote und zu neuem Leben auferstandene Jesus die Hauptgestalt, um die sich seine Mutter, die Jünger, Maria Magdalena und die übrigen aus den Evangelienberichten bekannten Personen scharen. Kreuz und leeres Grab, trauernde und jubilierende Engel weisen auf Tod und Auferstehung hin. Bilder von Jesu Begegnung mit den beiden Jüngern in Emmaus und solche von seiner Himmelfahrt schließen den Osterfestkreis ab. Jesus erscheint im Sinnbild eines jungen Lammes mit der Fahne des Auferstandenen als das „wahre Osterlamm“ („Agnus Dei“), auch zeigt er sich als der „gute Hirte“,[87] der das verlorene Schäfchen zur Herde zurückbringt; der zweite Sonntag nach Ostern ist ja diesem guten Hirten geweiht.
Die Bildvorlagen zur Passion und Glorie Jesu Christi sowie zu den anderen religiösen Bildpostkarten stammen durchwegs aus der Tradition der kleinen Andachtsbilder, die seit dem späten Mittelalter vor allem unter Katholiken verbreitet waren. Bis in die 1930er-Jahre waren die meisten Osterkarten vom Stil der Nazarener-Epigonen geprägt, dann wurden naiv-volkstümliche Darstellungen des Ostergeschehens beliebt – z. B. von Berta Hummel (1909–1946) oder Maria Spötl (1898–1953), seit einigen Jahrzehnten jedoch verschickt man immer öfter Reproduktionen bekannter sakraler Kunstwerke. Unter den frommen Bildern liest man meistens die Wunschformel „Gesegnete Ostern!“.
Bilder von Stätten der Andacht und des Gebetes sind auf vielen Osterkarten zu sehen. Haus-, Weg- und Gipfelkreuze, Bildstöcke, Kapellen und Kirchen laden zur religiösen Besinnung ein. In den katholischen Kirchen müssen gemäß der Liturgie die Glocken und Orgeln vom Abend des Gründonnerstags bis zur Feier der Auferstehung Christi schweigen. Während dieser Zeitspanne werden die Glockensignale durch hölzerne Ratschen und Klappern ersetzt. Ministranten und Schüler ziehen in einigen Orten nach alter Tradition noch immer mit großen Ratschen von Haus zu Haus, singen Passionslieder und erbitten dafür kleine Gaben.
In der Nacht zum Ostersonntag wird die Osterkerze am geweihten Feuer entzündet. Das neu geweihte Wasser erinnert die Christen daran, dass Ostern früher der wichtigste Termin zur Spendung der Taufe war. Weithin vernehmbar läuten die Kirchenglocken das Fest ein, zum „Gloria“ der ersten Ostermesse ertönt die Orgel wieder, und dann erklingt das feierliche „Halleluja“. Nach der vierzigtägigen Fastenzeit, die früher auch den Verzicht von Fleisch warmblütiger Tiere und den Verzehr von Eiern einschloss, bringen viele Gläubige einen Korb voller Speisen zur Kirche, um sie zur Stärkung der Gesundheit vom Priester weihen zu lassen.
Das Ei ist ein uraltes Symbol des Lebens, das seit Jahrtausenden als Geschenk und als Opfergabe gebraucht wird. Bemalte, verzierte, vergoldete Eier sind aus vielen Kulturkreisen bekannt. Rote Eier gelten wegen der Farbe des pulsierenden Blutes als besonders heilkräftig und Glück verheißend. Die am Gründonnerstag – dem ehemaligen Ablasstag für Kirchensünder – gelegten „Antlasseier“ wurden früher als Schutz- und Abwehrmittel verwendet.
In der christlichen Tradition ist das Ei auch ein Sinnbild für Christi Tod und Auferstehung, weil die Eierschale gleich Jesu Grabeshöhle neues Leben in sich birgt. In der Barockzeit wiesen die „Ostereibildchen“, auf denen der auferstandene Heiland einer Eierschale entsteigt, wiederholt auf diesen Zusammenhang hin. Als Kontrafaktur solcher frommen Darstellungen schlüpft auf so mancher Bildpostkarte ein schönes Mädchen aus dem Ei.
Das Schenken von Eiern zur Osterzeit geht über seinen Symbolcharakter hinaus auch auf alte Rechtsbräuche und Gewohnheiten zurück. Einerseits gehörten Eier zu jenen Naturalien, die als Zins an den Grundherren abgeliefert werden mussten, andrerseits wurde ein Teil des Eiervorrates, der sich während der früher so strengen Fastenzeit angesammelt hatte, zu den Feiertagen verschenkt. Das Gesinde bekam seine Ostereier, ebenso die Patenkinder, man bedachte Pfarrer, Lehrer und Mesner damit und erfreute geliebte und verehrte Personen. Das Verschenken von Ostereiern war in der Vergangenheit so allgemein verbreitet, dass im 18. Jahrhundert schließlich jedes beliebige Ostergeschenk als „Osterei“ bezeichnet wurde. Um die gekochten, meist auch gefärbten Hühnereier haben sich Spiele wie das Eierpecken oder das Eierrollen entwickelt.
Die Verzierung der Ostereier erfolgt in den verschiedensten Techniken, man färbt sie zum Beispiel mit Blüten und Kräutern, malt Sprüche und Ornamente darauf oder bestückt sie sogar mit winzigen Hufeisen. Ausgeblasene Eier schmücken den Osterstrauß, das Osterbäumchen oder den Osterbrunnen. Eier werden aus verschiedenen Materialien nachgebildet: aus Zucker, Marzipan und Schokolade zum Verspeisen oder als Schmuckgegenstände aus Holz, Glas, Porzellan und Edelmetall zum Verschenken. Die Eiform bestimmt bis heute sogar die Behälter für manche österlichen Gaben.
Wenngleich der Osterhase nicht der einzige österliche Gabenbringer ist, so ist er doch der bekannteste, und der Glaube an ihn ist weithin verbreitet, nicht zuletzt durch zahlreiche Kinderbücher, die ihn mit menschenähnlichen Eigenschaften ausstatten.
Als Spender und Überbringer der bunten Ostereier ist der Osterhase schon seit dem 17. Jahrhundert unterwegs; die Pfalz, das Elsass und Westfalen gelten als seine Heimat – ein Gebiet, in dem sich auch die Gestalt des Christkindes, des weihnachtlichen Gabenbringers, zuerst verbreitet hat.
Vermutlich verdanken beide geheimnisvollen Wesen ihr Dasein dem pädagogischen Bemühen der protestantischen Oberschicht. Im Gegensatz zum Christkind bringt der Osterhase seine Gaben allen Kindern, auch den unfolgsamen, denn auf die kraftspendenden, gesundheitsstärkenden Eier soll nach der langen Fastenzeit niemand verzichten müssen.
Warum ausgerechnet der Hase die Ostereier bringt, hat mehrere Gründe. Weltweit gilt der Hase als ein geheimnisvolles, symbolhaftes Tier. Er kennt den Weg zum Lebensbaum und Lebenswasser, er verkörpert die Kräfte des Mondes, er ist ein Sinnbild der Fruchtbarkeit und Fülle. Daher liegt seine Verbindung zum Osterfest und zum Leben spendenden Ei nahe. Einst war er den Göttinnen der Liebe geweiht, christliche Geistliche rügten ihn wegen seiner „Geilheit“, doch alle Schichten der Bevölkerung verspeisten ihn zur Stärkung der Gesundheit; heutzutage verleibt man sich den Hasen zu Ostern meistens nur mehr in Nachbildungen aus Kuchenteig oder Schokolade ein.
In vielen Märchen und Sagen ist der Hase mit allerlei wunderbaren Fähigkeiten ausgestattet, in Tierfabeln und in Darstellungen der „verkehrten Welt“ wiederum karikiert er menschliche Schwächen und soziale Missstände. In den spannungsreichen Jahrzehnten der frühen Neuzeit waren Darstellungen von Hasen, die wie Menschen agieren, weitverbreitet. Den Erwachsenen fiel es damals wahrscheinlich nicht schwer, diese Tiere auch zu geheimnisvollen Gabenbringern zu ernennen. Protestantisch erzogene Kinder sollten ihre Ostereier fortan zwar ohne kirchliche Weihe genießen dürfen, aber nicht ohne jedes Geheimnis: Sie müssen nämlich die Eier, die der Hase versteckt hat, erst suchen.
In der Kulturgeschichte unserer Haustiere nimmt der Haushahn[88] eine wichtige Rolle ein. Da er mit seinem Schrei die dunkle Nacht vom hellen Tag scheidet, sagte man ihm den Besitz magischer Kräfte nach. In Märchen und Sagen vollbringt er tatsächlich mancherlei wundersame Taten.
Im Alltag weckt der Hahn die Menschen mit seinem Krähen zu neuer Arbeit, er herrscht über den Hühnerhof, wacht über Fass, Haus und Kirche und zeigt als Wetterhahn die Windrichtung an. Seine sexuelle Potenz hat ihn, gleich wie den Hasen, zu einem Sinnbild der Fruchtbarkeit gemacht. Die Verbindung zum Ei und zum österlichen Gabenfest ist deshalb nicht verwunderlich.
Als Gabenbringer ist der Hahn in einigen Gegenden Oberösterreichs, Bayerns und in Mitteldeutschland unterwegs. Mit Ostern verbindet den Hahn außerdem eine Episode in den Evangelienberichten: Der Hahn krähte, nachdem der Apostel Petrus seinen Meister Jesus verleugnet hatte (Mt 26,75).
In manchen Gegenden Europas gelten unter den Vögeln auch Storch, Kranich, Birk- und Auerhahn sowie der Kuckuck als Überbringer der Ostereier – der Kuckuck vor allem in der Schweiz. Sie sind wegen der Vorherrschaft des Osterhasen auf den bei uns im Umlauf befindlichen Bildpostkarten aber genauso selten zu sehen wie der Fuchs, der in Hannover und Westfalen die Ostereier einlegt. Manche alten, schon abgekommenen Heischebräuche des „Sommereinholens“, etwa zu „Lätare“ (3. Sonntag vor Ostern bzw. 4. Fastensonntag in der Passionszeit, nach Jes 66,10 „Freut euch mit Jerusalem!“ benannt), wirken in der Funktion dieser Tiere als Gabenbringer nach.
Längst abgekommen ist auch die in einigen katholischen Gegenden verbreitete Gewohnheit, den Ministranten und Schülern bereits am Palmsonntag gefärbte Eier zu schenken, die im hohlen Hinterleib des in der Prozession mitgeführten hölzernen Palmesels versteckt waren. Eine Gruppe magischer Gabenbringer aber ist auf Ostergrußkarten hin und wieder zu sehen: Es sind die Kirchenglocken,[89] von denen die Kinder am Niederrhein meinen, dass sie am Gründonnerstag nach Rom zum Papst flögen und auf ihrem Rückflug nach Hause die bunten Ostereier mitbrächten. Auf Bildpostkarten erinnern sie meistens als Glöckchen über dem Osternest an ihre Eigenschaft als Eierboten.
Technische Neuerungen und politische Veränderungen schlagen sich auch auf manchen Osterkarten nieder. So benützen die österlichen Gabenbringer gelegentlich Automobile, Motorräder oder Flugzeuge als Verkehrsmittel.
In Kriegszeiten verbanden sich patriotische, nationale und kämpferische Symbole mit den traditionellen österlichen Motiven; solche Osterkarten waren vor allem im Ersten Weltkrieg weitverbreitet.
Sie hat ein starkes Bedürfnis nach Erforschung von Vergangenem und ist Vorbild für heutige Generationen: Mariloise Jordan aus Fusch an der Glocknerstraße beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Kunst zur Osterzeit. Eine Pracht an österlichen Gaben bietet sich den Besucherinnen und Besuchern jährlich in ihrer Werkstatt im Nationalpark Hohe Tauern. Die gelernte Grafikerin und Kunstmalerin fertigt Glasstürze, Osterkrippen, Lebensgefäße, Wachsbücher – und vor allem Ostereier, von denen keines dem anderen gleich ist. Sie werden von ihr in vielfältiger Weise bemalt, bedruckt, die Schale aufgebrochen und eingerichtet. Jordan übernimmt dabei Tradiertes, schafft daraus ihre eigenen Kreationen und bringt einen Brauch in Bewegung: jenen des Eierbemalens und -färbens sowie -schenkens.
Wenn in Jordans Blumengarten die Königskerzen, Vergissmeinnicht und Schlüsselblumen aus der Erde sprießen, findet man mit Mühe den schmalen Weg, der durch diese wild wachsende Idylle zum Haus führt. Zu Ostern blitzt aber oft noch der Schnee vom Schwarzkopf, dem gegenüberliegenden Berg. In Bussen reisen die Besucher/innen aus Österreich und Deutschland zur Osterschau der Künstlerin. Schulklassen klopfen an die Tür, ebenso Kunst-Eier-Sammler/innen und neben Einheimischen auch Gäste aus vielen Ländern der Welt, die von Wirten aus der Region geschickt werden. Sie betreten ein Haus, das an ein Museum erinnert. Hier wurden Räume um Möbel gebaut. Die Antiquitäten im Besitz Jordans reichen bis 1600 zurück. „In einer kalten, modernen Umgebung könnte ich nicht sein“, so die Pinzgauerin.
Mariloise Jordan zeigt die Kunst des Eierbemalens und -färbens innerhalb und auch außerhalb ihrer vier Wände. Sie wird zu Workshops eingeladen, beteiligt sich an Gemeinschaftsausstellungen im In- und Ausland, internationale Medien beschäftigen sich mit ihrem Wirken. Sie weckt Interesse und Kreativität. Sie schafft Kommunikation und Austausch. So bringen Besucher/innen manchmal ein Präsent mit – etwa selbst umhäkelte oder umstrickte Eier. Jordan revanchiert sich mit der Gabe eines ihrer Eier. Die Salzburgerin ist seit Jahren bemüht, möglichst viele Dokumente zu sammeln, die eine Überlieferung von Techniken in der Eierkunst belegen. Sie findet Vorlagen in Museen, auf alten Kalendern sowie in Sammlerkatalogen und bedient sich des Wissens einheimischer Frauen. Letztere verwenden etwa – wie ihre Vorfahrinnen – Kräuter, Gräser und Zwiebelschalen zum Einfärben der Ostereier.
Ihr Bedürfnis, Vergangenem auf die Spur zu kommen, sieht Jordan in ihrer Kindheit begründet. Sie hat heute noch das Bild vor Augen, wie die Großmutter sie bei ihrem Besuch stets zum „Gläserkastl“ führte – ein wundersamer Ort, wie der Kleinen schien, voll mit Kostbarkeiten, kleinen Wachssachen aus vergangener Zeit. Ihre Symbolik verstand das Mädchen noch nicht. Doch erschienen diese Stücke ihr zeitlos, eine Brücke zur spirituellen Welt des christlichen Glaubens, dem die Familie verhaftet war. In ihr erwachte der Wunsch, selbst ähnliche Dinge zu schaffen, aus bereits Bestehendem heraus Eigenes zu entwickeln. Kreativität wurde von ihren Eltern großgeschrieben. Ihre Zeichnungen ab dem sechsten Lebensjahr besitzt Jordan heute noch. Die Mutter hatte sie alle aufbewahrt.
Mariloise Jordan ist bekannt für ihre Osterkunst. Als Kind malte sie alles, was ihr in den Sinn kam. So zum Beispiel die Möbelstücke, die sie sich für ihr Puppenhaus zu Weihnachten wünschte. Die gezeichneten „Baupläne“ gingen, so glaubte sie, per Briefbote an das Christkind. Die Hobelbank des Vaters und schon des Großvaters – beide Tischlermeister – waren eine Fundgrube für Bastelmaterial für das Einzelkind, das die ersten fünf Jahre in Großarl im Pongau aufwuchs.
Mariloise Jordan schuf als Siebenjährige während der Kriegszeit (1940) ihr erstes „eingerichtetes“ Ei. „Das ging ganz intuitiv. Ich wusste ja gar nicht, dass es solche Eier wirklich gegeben hat.“ Der Hintergrund: Sie wollte für ihre Mutter ein Osternesterl machen, musste aber mit den Eiern sparen. So nahm sie die Schale eines aufgeschlagenen Eies. Hinein legte sie einen aus Erlzapfen und Blattknospen gefertigten Osterhasen, deckte ihn mit Moos zu und seilte ihr Werk über den Balkon hinab, um ja nicht von der Mutter entdeckt zu werden. Von Ostern und seinen Feierlichkeiten ging für das Mädchen stets ein Zauber aus. Stundenlang tauchte es in die Märchenwelt der Osterhasen in den Kinderbüchern.
Die Künstlerin sprüht heute noch voller Ideen. „Die Zeit rennt mir davon“, hat sie das Gefühl. Kraft tankt sie im Garten, zwischen wilder Akelei und Benediktenkraut. Ihr größter Wunsch: „Dass ich mein Leben lang das Augenlicht hab’ zu arbeiten und meine ruhigen Hände [...]“
In den 1960er-Jahren begann Mariloise Jordan mit den eigenen Kindern Ostereier zu bemalen und zu färben. Dabei verspürte sie den Wunsch, immer mehr von dieser Kunst zu erfahren. Mit der intensiven Beschäftigung wuchs ihre Fertigkeit. Schrift und Ornamentik wurden feiner, präziser, ihre Aquarelle ausgereifter, die Motive zunehmend vielfältiger. Zu keiner Zeit verfügte sie aber über eine Beschaulichkeit und Ruhe, wie sie oft andere Künstler/innen zur Inspiration haben. Bei der dreifachen Mutter herrschten stets ein strenger Zeitplan und viel Betriebsamkeit im Haus. Aquarelle malte sie schon als junge Frau, während sie ihr Baby im Kinderwagen in den Schlaf wiegte. „Ich musste da am Boden der Realität bleiben“, sagt sie rückblickend.
In die „sensible Arbeit Kunst“ (Jordan) fand sie trotzdem immer mehr hinein. Obwohl viele andere Arbeiten in der Familie zu erledigen waren, verfolgte sie konsequent den Weg als Künstlerin. Der große Schaffensdrang Jordans war gepaart mit dem Bestreben, auch anderen Menschen diese Kunst nahezubringen. So scheute sie nicht den Weg in die Öffentlichkeit – und erhält seit Jahren beachtliche Rückmeldung. Besucher/innen wollen Eier schenken und verschiedene Techniken selbst ausprobieren. Jordan: „Sie wollen zum Beispiel dem nachspüren, was ihre eigenen Vorfahren früher vielleicht noch gemacht haben und was dann in Vergessenheit geraten ist.“
Das Ei hätte im christlichen Glauben eine wichtige Botschaft, so Mariloise Jordan, die meint: „Es ist Symbol für das Leben, für die Unendlichkeit, die Schale (Ummantelung) ist Sinnbild für den Schutz des Daseins.“ Im Nationalparkgebiet Hohe Tauern hatte man etwa im 19. Jahrhundert Eier in verschiedenster Bearbeitung geschenkt, fand Jordan heraus. So hat sie Vorlagen von Holzeiern mit bäuerlichem Muster. Im Museum in Mittersill fand sie sogenannte „Liebeseier“. Diese stammen aus der Zeit um 1840/50. Solche hätte es jeweils als Paar gegeben. In einem gemeinsamen Spruch ergänzen sie sich. Jordan schuf eigene Variationen davon. „Dieses rote Ei spricht“, steht etwa auf einem ihrer Pärchen-Eier. Auf dem zweiten ist zu lesen: „Lebe wohl, vergiss mein nicht.“
Auch die „Gebetseier“ – etwa mit einem „Vaterunser“ beschrieben – werden bei Jordan gerne (nicht nur zur Osterzeit) gekauft. Ebenso das „Godn-Ei“. Dieses hätte ein Patenkind früher das ganze Leben begleitet, so die Fuscherin. In der Eischale steckt ein „Fatschenkind“ mit einem Sprüchlein sowie der geweihte „Godn-Taler“. Einen solchen hatte Jordan selbst noch zur Taufe erhalten. Neben „Freundschafts- und Hochzeitseiern“ fertigt Jordan auch „Trosteier“. Ein Trostei hatte etwa ein junger Bursch einem Patienten ins Krankenhaus gebracht und es über das Krankenbett gehängt, erinnert sich Jordan an einen Kunden. In ihrer Werkstatt entstehen auch „Schutzengel-Eier“. Diese hätte man, so die Künstlerin, in der Region den Kleinen früher als guten Begleiter mit auf den Lebensweg gegeben. Sie sind – wie auch die vorher beschriebenen Eier – eine Art „Glücksbringer“, von denen spirituelle Kraft erhofft wird.
Mariloise Jordans Eier-Schau wird jedes Jahr um neue Darstellungen reicher. Sie bemalt ausgeblasene Eier mit Aquarellen in Miniaturform, verwendet Scherenschnitt und Kratztechnik, schreibt ihre Sprüche in feiner gotischer oder deutscher Schrift mit Feder und Tusche. Sie bedient sich sakraler und floraler Motive sowie figürlicher mit Heiligenbildern und Tieren. Mit Seide, Gold- und Silberfäden aus alten Beständen, mit Perlen und Bändern umwickelt sie Eier oder überzieht sie mit Wachs. Als Sinnbild für die Auferstehung Jesu bricht sie Eierschalen auf. Darin bettet sie zum Beispiel Figuren aus Wachs. In manchen ist ein Buch drin, in das man selbst schreiben kann, bei anderen dreht man an einer Kurbel und damit einen Spruch heraus.
Jordan schafft „Stufenbilder-Eier“ mit österlichen Darstellungen, ebenso „Nostalgie“-Eier mit kindlichen Hasenbildern, „Straußen-Eier“ als Skulptur. Farben wie Motiven ihrer Eierkunst liegt christliche Symbolik zugrunde. Häufig sind Jesus (als Gekreuzigter und Auferstandener) und Maria gemalt sowie auch die Leidenswerkzeuge Jesu. Dargestellte Herzen symbolisieren die Liebe, der Anker die Hoffnung, das Sonnenrad das Licht. Verschiedene Tiere sind für Jordan Zeichen für Wachsamkeit, Frieden und Lebensgeist. Vögel auf dem Lebensbaum stellen die Seelen der Toten dar, Weintraube und Kelch stehen für das letzte Abendmahl.
Die Farben Rot und Gelb zeigen die Erlösung, die Farbe Blau die Ewigkeit. Rot steht für Liebe und Lebensfreude, grün für die Hoffnung und das Glück, gold für Gott und Prunk, gelb für die Sonne und die Hoffnung. Die verwendeten Eier in unterschiedlicher Größe stammen vom Wellensittich (Fingernagelgröße), der Wachtel, der Ente, der Gans, dem Schwan, dem Vogel Strauß.
Mariloise Jordan gestaltet nicht nur Ostereier, sondern auch andere Osterkunstwerke. So faszinieren etwa ihre Wachsbücher. Die Fertigung solcher sei um 1850/60 eine Lebzelter- und Wachszieherarbeit gewesen, so Jordan. Dabei wird ein fester, buchförmiger Gegenstand mit Wachsbändern umwickelt, darin steckt ein Docht. Die Vorfahren hätten, so Jordan, diese bei Wallfahrten, Hochzeiten, Taufen und Firmungen geschenkt. Viele hätten das Wachsbuch bis zum Tod behalten. Das sei dann beim aufgebahrten Sarg angezündet worden und hätte so einen Menschen bis zum Sterben begleitet.
Die Wachsbücher werden vor allem als „Godn-Geschenk“ in der Fuscher Werkstatt gekauft. Dort sind auch Osterkerzen mit eingearbeiteten Bildern ausgestellt: Im „Kreuznagelbild“ etwa steckt ein Eisennagel, symbolhaft für die Durchbohrung Jesu am Kreuz sowie eine Passionsblume (gestickt mit Perlen und Seide). Auch Lebensgefäße mit Lebensbaummotiv stellt die Künstlerin her. Weiters sieht man in Glasstürzen von Hand modellierte Wachsfiguren mit Darstellungen des Gottessohnes, des guten Hirten und der Pietà. Außerdem fertigt Jordan Kastenkrippen. Diese sind eine wundervolle Perlen- und Silberarbeit, die das Heilige Grab zum Mittelpunkt haben.
In Jordans Schau befindet sich auch ein kunstvoller Schrein, in dem das Jesuskind mit goldenem Kreuz gebettet ist. Dieses sei, so Jordan, der Biedermeierzeit nachempfunden und ist mit Glasaugen und Flachshaar ausgestattet. Unter ihren Arbeiten finden sich weiters große Osterkerzen für Kirchen. In diese schneidet sie fünf Vertiefungen, die die Wundmale Jesu darstellen. Darin steckt sie mit vergoldetem Wachs überzogene Weihrauchkugeln. Wird die Kerze angezündet, duften diese. Dies sei, so Jordan, symbolisch für den Wohlgeruch, den der Leichnam Jesu im Leichentuch ausgeströmt hätte. Sie repariert überdies beschädigte Werke wie Wachsbücher oder Glasstürze.
Verwendete Literatur
[Brettenthaler/Endhammer/Thurner] Brettenthaler, Josef; Endhammer, Johann; Thurner, Anita: „Rund um das Osterfest“. Eine Ausstellung über den Zauber alter und neuer Symbole. Salzburg o. J.
[Gantner 1980] Gantner, Theo: Geformtes Wachs. Schweizerisches Museum für Volkskunde Basel. Ausstellung 1980/81. Basel 1980 (Führer durch das Museum für Völkerkunde und Schweizerische Museum für Volkskunde Basel).
[Krajicek 1989] Krajicek, Helmut: Volksfrömmigkeit. Gegenstände der persönlichen Andacht. Großweil 1989 (Schriftenreihe/Freundeskreis Freilichtmuseum Südbayern e. V. 8).
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Viele Erscheinungen, die wir als Brauch bezeichnen, verdanken ihre Entstehung oftmals einem Rechtsakt oder haben wenigstens einen rechtlichen Ursprung. So hat der Altmeister und letzte Universalist der österreichischen Volkskunde, Leopold Schmidt (1912–1981), festgestellt, dass vieles, was einfach „als Brauch“ hingenommen wird, wesentlich genauer betrachtet werden kann, wenn man auch dem rechtlichen Element Beachtung schenkt. Schmidts deutscher Kollege K. S. Kramer (1916–1998) hat bei den von ihm entwickelten Kategorien zu einer rechtlichen Volkskunde der Kategorie Zeit eine wichtige Funktion innerhalb des Sozialgefüges beigemessen, die Termine und Fristen einschließt, wie denn überhaupt das gesamte gemeindliche Zusammenleben einen ausgeprägt rechtlichen Charakter besitzt.
Zahlreiche Bräuche haben sich um ursprüngliche Rechtstermine entwickelt, wie etwa Martini (11. November), zu dem nicht nur eine Reihe von Abgaben an die Grundherren fällig wurden, sondern auch Knechte und Mägde, die während der Winterzeit in der Landwirtschaft nicht beschäftigt werden konnten, entlassen wurden und sich deshalb nach anderen Tätigkeiten zum Lebensunterhalt, etwa als Holzarbeiter, umsehen mussten.
Die Kirche hat solche rechtlich bedingten Anlässe gerne auch für sich genutzt. Allmählich haben die kirchlichen Formen den rechtlichen Ursprung aus dem allgemeinen Bewusstsein verdrängt, allerdings auch aus der Aufmerksamkeit mancher Brauchforscher. Ein solch wichtiger Termin war auch Ostern.
Bräuche rund um das Osterei sind hierzulande nicht denkbar ohne die Eierzinse, wie sie früher zu Ostern – aber nicht nur da – an die Grundherren fällig wurden. Die so eingelangten Eier dienten aber nicht nur dem eigenen Verzehr. Sie wurden in Zeiten der Naturalwirtschaft als eine Art des Entgelts für verschiedenerlei Dienstleistungen wieder ausgegeben. So erhielten etwa die Schäfer in der bayerischen Oberpfalz für tierärztliche Behandlungen an den ihnen anvertrauten Tieren neben anderen Naturalien auch Eier. Auch ihr Lohn bestand zum Teil darin. Dem Fährmann von Rossatz in der Wachau wurden zu Ostern „walgair“ von den Benutzern der Fähre gegeben.
Allmählich wurden solche Naturalabgaben durch Geldzahlungen verdrängt. Zahlreiche Rechtswörter wie Eiergeld, Eiergebühr und ähnliche Ausdrücke erinnern aber noch an die alte Bedeutung des Eies als Abgabe.
Die Kirche spendete zu Ostern oftmals Eier, die sie auch aus Eierstiftungen (Seelgerät oder Jahrzeitstiftungen) erhielt, Eierspeisen oder Gebäck (zu dessen Herstellung wiederum Eier Verwendung fanden) an Alte, Arme, Kranke, Schulkinder und Spitalsinsassen. Denn das Ei als Symbol der Fruchtbarkeit und des Lebens, das aus ihm kommt, passte gut zur österlichen Botschaft der Kirche von der Auferstehung. Man kann hierin das Vorbild für einen weltlichen Brauch des Schenkens zu Ostern sehen.
Farbige Ostereier, wie wir sie heute kennen, sind eine relativ junge Erscheinung. Die ursprünglichen Ostereier waren rot gefärbt, in Erinnerung an das Blut Christi, welches zu Ostern vergossen wurde. Als Farbstoff diente sogenanntes „Brasilholz“, ein tropisches Holz, welches eingeführt werden musste und deshalb relativ teuer war. Es wurde zerspant und mit Wasser angesetzt. Die hierzulande üblichen Zwiebeln, deren Schalen gleichfalls in späterer Zeit zum Färben verwendet wurden, geben den Eiern eine gelb-braune Farbe. Und wenn man sie gesprenkelt haben wollte, legte man die gefärbten Eier einfach in einen Ameisenhaufen, wodurch die Ameisensäure sich durch die Farbe fraß und die punktartigen Musterungen ergab.
Die Frage, warum neben der Farbe Rot nach und nach auch andere Farben verwendet wurden, auch Verzierungen, Bekleben mit Bildchen, Bemalen, Beschriften, Umspannen mit Silberdraht und Ähnlichem, wird sich nicht eindeutig beantworten lassen. Sicherlich haben aber die Fastengebote der Kirche mit dazu beigetragen. Denn sie umfassten nicht nur das Verbot von Fleisch während der Fastenzeit, sondern auch den Verzehr aller Nahrungsmittel, die aus dem Tier kamen wie Milch, Käse, Butter und eben Eier.
Auch wenn die kirchenrechtlichen Verbote nach und nach gelockert wurden, so blieb doch die Freude über den wieder erlaubten Genuss des Nahrungsmittels am Ende der Fastenzeit, der man durch eine besondere Gestaltung Ausdruck verlieh. Das Färben der Eier zu Ostern ist dieselbe Erscheinung, die man auch bei der Verzierung der Butter beobachten kann, die gerade in den Salzburger Gauen zur Osterzeit besonders kunstvoll geformt wurde und immer noch wird.
[23] [Frieling/Ortmann 1991], S. 37 f.
[24] [Schlisske 1960], S. 28. – Vgl. [Asmussen/Sartory 1959].
[25] [Frieling/Ortmann 1991], S. 37–39.
[26] [Gaßmann 1978], S. 57 f.
[27] [Schlisske 1960], S. 15–17. – Vgl. [WolfHM 2000].
[28] [Schlisske 1960], S. 21 f.
[29] [Hollerweger 1995], S. 93.
[30] [Schlisske 1960], S. 23.
[31] [Hollerweger 1995], S. 101.
[32] [Hollerweger 1995], S. 111.
[33] [Evangelisches Gesangbuch 1994], S. 27.
[34] [Schlisske 1960], S. 33.
[35] [Frieling/Ortmann 1991], S. 38. – [Biser 1983].
[36] [Evangelisches Gesangbuch 1994], S. 13–24.
[37] [Evangelisches Gesangbuch 1994], Anhang Nr. 761.
[39] [Schlisske 1960], S. 6 f.
[40] [Schlisske 1960], S. 31 ff.
[42] Nis(s)an: 7. Monat im jüdischen Mondkalender (März/April)
[44] Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang
[45] Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang
[46] Die Themen der Goldegger Dialoge seit 1982: „Ernährung“ (1982), „Leib und Seele“ (1983), „Wendepunkte des Lebens“ (1984), „Der Mensch und seine Hüllen“ (1985), „Arbeit und Freizeit – Entfremdete Zeit?“ (1986), „Heilen durch den Geist“ (1987), „Liebe – Sexualität – Tod“ (1988), „Lebensängste – Ängste leben“ (1989), „Auf der Suche nach dem Glück – Der Mensch und seine Süchte“ (1990), „Heile Natur – Natürliches Heilen“ (1991), „Schmerz – Stachel des Lebens“ (1992), „Zeit-Erleben – Zwischen Hektik und Müßiggang“ (1993), „Unser Kind – Das Kind in uns“ (1994), „Der befreite Körper – Lust und Last“ (1995), „Mythen – Rhythmen – Rituale“ (1996), „Unser Herz – Eine Pumpe mit Gefühl?“ (1997), „Genuss zwischen Wahn und Sinn“ (1998), „Gesunde Beziehungen“ (1999), „Abschied und Aufbruch – Verändern und Loslassen“ (2000), „Neue Wege des Heilens“ (2001), „Grenzen sprengen – Mitte finden“ (2002), „Aus der Egoismusfalle – Selbstfindung zwischen Einsamkeit und Geborgenheit“ (2003), „Wellness – Wahn und Maß“ (2004), „Lebensmitte(l) Arbeit“ (2005), „Zukunft des Heilens zwischen Spiritualität und Hightech“ (2006), „Kraft der Beziehung – Bindung, Freundschaft, Resonanz“ (2007), „Werte, Wandel und das Glück“ (2008), „Schöpferisch das Leben meistern“ (2009), „Was uns stark macht“ (2010), „Wofür und wovon wir leben“ (2011), „Was uns verbindet – Energie und Empathie“ (2012).
[47] [Kulturverein Schloss Goldegg 1989], S. 162 f.
[48] Kurzfassung von Ilona Lindenbauer, Langtext-Version HIER. Anm. der Redaktion: Siehe zu den religiösen Festen den „Kalender der Religionen“, Salzburger Landesinstitut für Volkskunde.
[51] [MartinF 1928].
[52] [Widmann 1896], S. 138 ff.
[53] [ZaunerJT 1785], Bd. 2. Salzburg 1787, S. 358–363.
[54] Dekanatsarchiv Hallein, Alte Registratur (Ladenkasten), Nr. XXVIII-4.
[55] [Colloredo 1782], S. 104 und S. 90.
[56] Dekanatsarchiv Hallein Alte Registratur (Ladenkasten), Nr. XXVIII–4.
[57] Merkantilismus: Wirtschaftspolitik, die zur Vergrößerung des nationalen Reichtums und der Macht des Staates Außenhandel und Industrie fördert.
[58] [Spechtler 1994], hier S. 176.
[59] [HartmannAu 1880], S. 133 ff.
[60] [Adrian 1962]. – [SchmidtL 1962], S. 310–320.
[61] [Schultes 1804], Theil 2. Wien 1804, S. 52.
[62] [Moser 1928], S. 76.
[69] [Forcher 1987].
[70] [GrassN 1957a].
[71] [GrassN 1957a].
[72] [Möbius 1978].
[73] Das Konzil von Trient – auch Tridentium, Tridentinisches oder Trienter Konzil genannt – tagte zwischen 13. Dezember 1545 und 4. Dezember 1563 als 19. ökumenisches Konzil der katholischen Kirche als Reaktion auf die Reformation Martin Luthers. 1564 bestätigte Papst Pius IV. die Beschlüsse des Konzils, die meist bis heute innerhalb der katholischen Kirche als verbindlich gelten. Das Konzil von Trient leitete die Gegenreformation ein und veränderte den Katholizismus so sehr, dass die Zeit zwischen diesem Konzil und dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962–1965) als „nachtridentinisch“ bezeichnet wird.
[74] [Frenzel 1984], S. 133.
[75] Zit. bei [Berliner 1955], S. 182, Anm. 222.
[76] Der Name leitet sich her vom Althochdeutschen „chara“ oder „kara“, was „Trauer, Wehklage“ bedeutet. Im Lateinischen heißt diese Woche seit dem 4. Jahrhundert „septimana major“, „hebdomada sancta“.
[77] Das „Gloria in excelsis Deo“ der römischen Messe, auch „Hymnus angelicus“ genannt, weil beginnend mit dem Lobgesang der Engel (Lk 1,14), ist inhaltlich ein Lobpreis der drei göttlichen Personen und war in der römischen Liturgie schon im 6. Jahrhundert Bestandteil der Messe. Das Gloria anzustimmen, war anfangs nur Bischöfen an Sonntagen und Märtyrerfesten erlaubt, den Priestern lediglich am Ostertage. Das „Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto“ schließt in der Liturgie die Psalmen mit ein, ausgenommen im Requiem und an den Kartagen. – Vgl. [Lexikon für Theologie 1957], Bd. 3, S. 432: „Doxologie“.
[78] [Lexikon für Theologie 1957], Bd. 4, S. 536.
[80] [Schulten 1964], S. 99.
[81] Zit. bei [GrassN 1957b], S. 253.
[82] [Hunklinger 1975], S. 2.